Das Gejammer über die jüngeren Generationen ist so alt wie die schriftlich überlieferte Menschheitsgeschichte, aber es ist doch immer wieder besonders. Zurzeit wird über die Generation Z ein Orchester negativer Töne laut, das sich auf Kernbereiche des Lebens bezieht und in dem nur wenig zufällig erscheint, denn es geht um handfeste Interessen, die mit Macht, Herrschaft, Geld einerseits und Menschlichkeit andererseits zusammenhängen.
Viele in der Generation Z, die ungefähr auf die heute 15- bis 30-Jährigen reduziert wird (gemeint sind natürlich nicht alle, aber wesentliche Teile dieser Generation), verweigern zum Beispiel, als Kapitalisten- und Managernachwuchs verheizt zu werden – nur sechs Prozent wollen selbstständig werden, sie interessieren sich wenig für Start-Ups und Gründungen von Unternehmen, sie haben die Lügenwellen über die Scheinselbstständigkeit durchschaut. Das ist vernünftig, aber verdächtig: Verweigern sie etwa im Gegensatz zu allen vorherigen Generationen, ein braves Reservoir an naiven aber money- und machtgeilen Jungspunden zu liefern, damit der Kapitalismus auf der Führungsebene gesichert bleibt? Zweifellos eine üble Generation, wenn sie keine Workaholics und Geldjäger mehr zur Verfügung stellen will! Sie sind offenbar nicht vom heutigen Kapitalismus überzeugt und wollen sich ihm nicht mehr bedingungslos opfern, schlimm, schlimm! Möglicherweise ist ihnen aufgefallen, dass von den Millionen, die es bisher versucht haben, nur ganz wenige tatsächlich in den oberen Rängen von Macht und Geld angekommen sind, die anderen bleiben auf der Strecke (so ähnlich ist es bei uns im Fußball – weniger als ein Promille aller über Jahre trainierten Supertalente schafft es in die erste oder zweite Liga). Also eigentlich ein Intelligenznachweis, sich auf solche riesige vergebliche, jahrzehntelange Liebesmüh um die Position eines Nachfolgekapitalisten gar nicht erst einzulassen, denn was kommt bei 999 Promille heraus: nichts als Frust und endlose Zeitverschwendung!
Aber die Unverschämtheiten der Generation Z gehen noch weiter. Sie wollen den Wert der Arbeit im Verhältnis zur Freizeit neu bestimmen, sie wollen weniger arbeiten und mehr verdienen als die vorherigen Generationen. Berechtigt? Zweifellos! Das Wirtschaftssystem der Bundesrepublik lebt seit 75 Jahren nicht von der Cleverness von Kapitalisten, Managern oder Politikern, sondern vom extrem überzogenen Einsatz und Zeitaufwand der 99 Prozent im Land, die letzten Endes leben, um zu arbeiten, viel mehr zu arbeiten, als in anderen Ländern, viel mehr Zeit des Lebens in die Arbeit zu stecken, um letztlich doch mit einer Lebensqualität zufrieden sein zu müssen, die mehr oder weniger dem Durchschnitt entspricht. Die Frage, ob sich das lohnt, stellt die Generation Z vollkommen zurecht und es ist sehr gut, dass endlich eine Generation den Mund aufmacht, um dieses Thema auf den Tisch zu bringen. Wir haben 75 Jahre Bundesrepublik hinter uns, die von einer Work-Work-Balance bestimmt waren und sind; das Leben, die Freizeit, Freunde und Familie, die Dinge, die wirklich wichtig sind und Freude bereiten, haben in dieser Zeit keine oder eine sehr untergeordnete Rolle gespielt. Eine Generation, die damit Schluss macht, ist äußerst vernünftig. Sie entspricht damit dem Wesen des Menschen, der keine Maschine ist, auch wenn das Modell Maschine für den Menschen seit Beginn des Kapitalismus das einzige Modell gewesen ist, mit dem dieser seinen Aufstieg und seine ubiquitäre und eternisierte Existenz gesichert hat.
Die Generation Z fordert weniger Arbeitszeit, mehr Freizeit und höhere Einkommen für alle. Das wird jetzt von allen Interessenvertretern des großen Kapitalis verdammt, das sei unmöglich, dreist, unvernünftig; Gegenargumente sind die bisherige Toleranz der anderen Generationen gegenüber dem Kapital und der Mangel an Arbeitskräften. Diese Interessenvertreter sitzen in Unternehmerverbänden, in der Politik, in den Medien und in der Presse, in der Kultur, überall da, wo vielleicht auch hohe Arbeitszeiten vorgegeben werden, aber jedenfalls weit überdurchschnittliche Einkommen vorhanden sind, also bei denen, die gerne Wasser predigen und Wein trinken, wie es so schön heißt. Sie mögen schweigen, diese submissiven Heuchler! Mit ihrer Agitation gegen die Arbeitszeitverkürzung machen sie sich bei den Reichen und Mächtigen beliebt, nicht zuletzt bei denen, die ja nur deshalb so reich und mächtig sind, weil sie mit großer Rücksicht auf ihre lieben Eltern bzw. Schwiegereltern nicht auf ihr reichhaltiges Erbe verzichtet haben.
Dabei geht es hier um das Wichtigste, was unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem den Menschen wegnimmt: ihre Zeit. Schon in den 80er Jahren gab es in diesem Land extrem starke Auseinandersetzungen um die Arbeitszeit der Arbeitnehmer*innen, zum Beispiel in der damals noch dominierenden Metallindustrie. Die Arbeitgeber kämpften um jede Stunde, sie wollten mit allen Mitteln die 35-Stunden-Woche verhindern, selbst bei Einkommensverzicht durch die Arbeitnehmer*innen war ihnen das ungeheuer wichtig. Wieso eigentlich?
Die konventionelle Wirtschaftstheorie bietet dazu keine Erklärung. Dennoch gibt es einen Ansatz, den Kampf um die Arbeitszeit zu verstehen, die Werttheorie von Marx. Diese besagt, dass weder Technik noch Natur Werte schaffen können – das können nur Menschen. Kein Computer, keine KI, keine Technik aus irgendeiner Zeit kann Werte schaffen. Die Techniken sind selbst Werte, von Menschen geschaffene Werte, aber sie können keine Werte schaffen. Und deshalb ist für eine kapitalistische Wirtschaft jede Stunde, die die Arbeitnehmer*innen für ihr Unternehmen oder ihre Organisation, Staat und Verwaltung eingeschlossen, arbeiten, so wichtig – mit jeder Stunde weniger wird die Chance, Mehrwert und damit Gewinn zu erzielen, geringer. Denn jede Stunde weniger Arbeitszeit bedeutet eine Stunde weniger Verfügung über die Arbeitskraft von Menschen, die allein Wert oder Mehrwert schaffen können, und deshalb ist der Traum von der vollen Technisierung und Roboterisierung der Ökonomie irreal, wenn er am Ende dazu führt, dass die Technik alle Arbeitszeit der Menschen ersetzt. Ein Betrieb, der heute aus tausend Mitarbeitern besteht, kann theoretisch bei voller Automatisierung morgen nur noch einen Mitarbeiter haben – aber wo ist die Kaufkraft der tausend geblieben? Kann der eine Mitarbeiter alle Produkte dieses Unternehmens kaufen? Wohl kaum – und deshalb muss das Kapital darauf achten, dass die Technik nicht zu vollkommen wird, dass die Arbeitszeit nicht zu stark reduziert wird, dass möglichst viele Mitarbeiter bleiben, denn sonst bricht das System zusammen.
Natürlich ist das unseren Unternehmern und Entscheidern in der Wirtschaft nicht klar, davon haben sie vermutlich keine Ahnung. Für sie geht es bei der Arbeitszeit auch um ganz profane Dinge – sie wollen keine Menschen, die 50 Prozent ihrer Zeit selbstbestimmt verbringen, die ihre fremdbestimmte Zeit, die Arbeitszeit, abwerten oder verringern. Sie wollen Menschen, deren Lebensinhalt das Unternehmen ist oder die Institution, in der sie arbeiten und der sie den größten Teil ihrer Lebenszeit spenden, schenken.
Denn das ist der zweite Aspekt der Arbeitszeit, und dieser ist vermutlich vielen Herrschaften und Mächtigen durchaus bewusst: Von jeder Stunde, die ich im Unternehmen bzw. in der Organisation arbeite, entsteht etwas, das deutlich mehr wert ist, als meine Vergütung, die ich für diese Stunde bekomme – das können zehn Prozent, aber auch 90 Prozent sein, je nach Branche oder Bereich. Ich arbeite also in jeder Stunde ein bisschen für mich, aber ziemlich viel für das Unternehmen, das durch meine Arbeit Gewinne erwirtschaftet, und wenn ich meine Arbeitszeit reduziere, fallen Stunden weg, in denen mein sogenannter Arbeitgeber durch meine Arbeitszeit Gewinne machen kann, weil ich weniger Produkte oder Dienstleistungen erstelle. Deshalb wird der Kampf um die Arbeitszeit von dieser Seite mit aller Härte geführt, aus Angst vor weniger privatem Gewinn, und deshalb sind die Forderungen der Generation Z für die Konzerne eine Provokation. Denn das Hauptinteresse im heutigen Kapitalismus der Monopole und Oligopole bedeutet, dass die Gewinne grundsätzlich nicht mehr in neue Investitionen fließen, sondern in die private Verfügung von Aktionären und Kapitalbesitzern, sodass sie die Gewinne für ihre außerbetrieblichen Interessen verwenden können. Auch bei uns, gerade in Deutschland, werden die Reichen immer reicher und der Rest immer ärmer, relativ betrachtet.
Ich wünsche deshalb den Vertretern der Generation Z viel Erfolg bei der Durchsetzung einer wirklichen Work-Life-Balance und bei der Verkürzung der Arbeitszeit auf 30 Wochenstunden für alle, ab sofort. Zugleich würde ich mir wünschen, dass sie auch zwei weitere, ebenfalls dringende Zukunftsfragen beantworten würde. Für die Lösung unseres Rentenproblems und der sozialen Ungleichheit gibt es nur eine Möglichkeit: das bedingungslose Grundeinkommen. Und um die politische Macht nicht länger irgendwelchen unqualifizierten Vertretern allein zu überlassen, muss die direkte Demokratie auf allen politischen Ebenen, von der EU über die Staaten bis zu den Regionen und Kommunen, eingeführt werden und der Souverän muss schrittweise das politische System selbst steuern, nicht ganz ohne Parlamente, aber mit Priorität des Plebiszits.
Literatur: Rutger Bregman, Utopien für Realisten. Die Zeit ist reif für die 15-Stunden-Woche, offene Grenzen und das bedingungslose Grundeinkommen, Reinbek 2017; Heinz Arnold, Linke Politik. Eine kritische Einführung, Hamburg 2020.