Wie denkwürdig ist es, dass die immer noch amtierende Außenministerin Baerbock in Deutschland den heftigsten und widerlichsten Schmähungen ausgesetzt ist, die jemals auf eine Person in diesem Amt heruntergeprasselt sind? Woran mag das liegen?
Hat sie nicht in vielen Bereichen der Außenpolitik Positionen vertreten, die unsere Außenpolitik seit Jahrzehnten bestimmen – vielfältige diplomatische Bemühungen um das Völkerrecht, internationalen Frieden, stärkeren Einsatz gegen die Klimakatastrophe, für die Menschenrechte und die Rechte der Frauen, für eine bessere Zusammenarbeit in Europa und der Europäischen Union, für die Einhaltung des Schengener Abkommens über offene Grenzen und vieles mehr, auch auf anderen Kontinenten? Was war da so besonders, dass man sie in Bausch und Bogen verurteilen muss, wie es zahlreiche Politiker und viele Medien seit etlichen Monaten tagtäglich tun?
Dreißig Jahre und mehr haben die deutschen Außenminister: Genscher, Kinkel, Fischer, Steinmeier, Westerwelle, Gabriel und Maas in einem Punkt eisenharte Kontinuität gewahrt: in der Russlandfreundlichkeit der bundesdeutschen Außenpolitik. Seit dem Ende der sogenannten Sowjetunion (die keine Räterepublik, sondern eine brutale und expansionistische Diktatur war) hat Deutschland nicht nur russlandfreundlich agiert und immer wieder versucht, die Großrussen zu besänftigen, mit ihnen extrem stark wirtschaftlich zu kooperieren und letztlich alles erduldet, was sie auch in dieser Phase wieder an Aggressionen hingelegt haben – also die bruchlose Fortsetzung von tausend Jahren russischer imperialer Angriffe und Überfälle bzw. Einverleibungen. Die Beschwichtigung und Besänftigung (spätestens seit Dirk Sagers Buch von 2008 war öffentlich bekannt, was Russland tat und in Zukunft tun würde) wurde von den Merkel-Regierungen am Ende auf die Spitze getrieben, als man Russland sogar nach dem Überfall auf die Krim und die Ostukraine 2014 noch alles verzieh und ihm mit Nordstream2 ein weiteres Riesenbonbon zustecken sollte; damit hatten 30 Jahre pathologische Russophilie ihren Höhepunkt erreicht. Pathologisch war sie, diese Russophilie, denn nach jedem positiven Schritt, den die Bundesrepublik dem großrussischen Reich anbot, reagierte dieses mit Ablehnung, Lügen über eine Bedrohung von außen sowie neuen Aggressionen und Überfällen – aber die deutsche Außenpolitik wollte diese immer gleiche Reaktion einfach nicht wahrhaben, das nenne ich pathologisch (wobei dieser Begriff vielleicht sogar nach einer Entschuldigung klingen mag, aber die Alternative wäre die Unterstellung böser Absichten – diesen Zynismus kann ich nicht erkennen).
Insgesamt kann also festgestellt werden: Die deutsche Außenpolitik der letzten dreißig Jahre ist in Bezug auf Russland vollständig gescheitert, sie war grundsätzlich falsch und sie muss komplett gewendet werden. Russland ist heute der Hort des Faschismus und des Angriffskriegs weltweit und muss in die Schranken verwiesen werden.
Und jetzt haben wir tatsächlich, seit dreißig Jahren, die erste Person im Auswärtigen Amt, die aus der Phalanx der Russophilen ausbricht und die Dinge beim Namen nennt. Die sich konsequent für die Ukraine und gegen die russischen Imperialisten einsetzt und auch in Richtung Russland das Völkerrecht ernst nimmt und verteidigt. Die einfach die Wirklichkeit des Handelns Russlands erkennt und selbst entsprechend handelt, sofern sie nicht von dem ebenfalls russlandfreundlichen Kanzler Scholz daran gehindert wird.
Dass genau diese Frau so heftig attackiert wird, zeigt, wie stark der Russland-Komplex, das Segment der Russophilen in Deutschland, noch immer ist, und zwar nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft, in den Medien, in der Kultur und in der Kunst. Sie beanspruchen für sich das Recht, im Interesse Putins und seiner Gang zu sprechen und sich insbesondere gegen Baerbock aufzuspielen, weil diese den Großrussen so entgegentritt, wie sie es verdient haben. Die Angriffe auf Baerbock sind nicht zufällig. Sie kommen überwiegend aus der rechten Ecke, von der AfD, aber auch von allen anderen Putin- und Russlandfreunden, dem immer noch sehr starken Block von Russlandschwärmern und Russophilen in diesem Land, die sich zurzeit wieder ans Licht der Öffentlichkeit trauen, weil Putins Busenfreund Trump ihn wieder hoffähig machen will. Nach allem, was uns die Russophilie eingebracht hat, ist das, was diese Unverbesserlichen über Baerbock auskippen, nur ihre eigene Schande.
Für diese Haltung und ihren dreijährigen Kampf gegen die russischen Aggressoren und für die demokratische Ukraine gebührt Frau Baerbock große Anerkennung und sehr viel Dank. Sie hat sich im Gegensatz zu den Vorgängern in ihrem Amt seit 1990 gegenüber Russland und seinem ekelhaften Treiben außerhalb seiner legalen Grenzen konsequent und korrekt verhalten und damit eine Neujustierung der Politik im Sinne schärfster Abgrenzung und Gegnerschaft gegenüber dem nicht lernfähigen Land der Großrussen vorbereitet.
Es bleibt zu hoffen, dass die neue Bundesregierung in diesem Sinn weitermacht und sich massiv gegen die russische Aggression und den russischen Faschismus stemmt. Es geht um die Rettung der Demokratie in Deutschland und in Europa vor den jahrhundertealten tiefsitzenden Trieben der orientalischen Despotie – der Zerstörung und der Diktatur.
Literatur: Karl Marx, Die Geschichte der Geheimdiplomatie des 18. Jahrhunderts. Über den asiatischen Ursprung der russischen Despotie, Berlin 1977; Jörg Himmelreich, Die deutsche Russland-Illusion. Die Irrtümer unserer Russland-Politik und was daraus folgen sollte, Köln 2024; Dirk Sager, Pulverfass Russland. Wohin steuert die Großmacht?, Berlin 2008; Gerd Koenen, Der Russland-Komplex. Die Deutschen und der Osten, München 2023; Bastian Matteo Scianna, Sonderzug nach Moskau. Geschichte der deutschen Russlandpolitik seit 1990, München 2024.