Allgemein

Asylpolitik ist Armenpolitik. Wo bleibt die Reichenpolitik?

Zurzeit läuft in Deutschland vieles schlecht. Eins der übelsten Vergehen ist die Asylpolitik. Hier sind sich alle rechten Parteien – um das klar zu sagen, rechts sind für mich alle Parteien außer der Linkspartei – einig. AfD und CDU und SPD und FDP und Grüne befassen sich jetzt intensiv mit Asylpolitik. Sie sind sich einig gegen Asylbewerber. Sie wollen verhindern, dass diese Menschen weiterhin ins Land kommen und schaffen dafür neue Hindernisse wie “Bezahlkarten” und 36 Monate Wartezeit, bis sie dann das viel zu hohe Bürgergeld abkassieren können, und sie produzieren am Fließband ähnlichen unchristlichen, asozialen Unsinn. Sie tun so, als würden sie mit diesen monströsen Geschichten irgend etwas bewirken; tatsächlich schrecken sie nur alle Ausländer ab, überhaupt noch nach Deutschland zu kommen – und alle diese Abschrecker von Asylanten wissen genau, dass Deutschland Millionen zusätzliche Menschen aus dem Ausland braucht, um als Land mit einigermaßen Wohlstand und sozialer Sicherung zu überleben. Wir brauchen Menschen aus dem Ausland, die bei uns im Gesundheitswesen arbeiten, die bei uns qualifizierte Arbeit in allen Branchen leisten und die in unsere Sozialversicherungssysteme einzahlen. Gleichzeitig betreibt die Politik Abwehrmaßnahmen gegen den Zuzug nach Deutschland; dieselben Leute, die heute über Fachkräftemangel jammern, machen morgen die Schotten für Ausländer dicht und zeigen jedem Nichtdeutschen die Rote Karte: “Halt, hier ist die deutsche Grenze, wir wollen dich nicht. Bleib weg!”

Warum tut das die Politik? Angeblich, um die Stimmenanteile der AfD zu reduzieren. Also tun die anderen Parteien das, was die AfD will, um sie zu schwächen. Der Denkfehler dabei ist, dass sie mit diesen Maßnahmen etwas gegen die AfD unternehmen – tatsächlich arbeiten sie alle für die AfD, denn sie machen das, was die AfD will, um die AfD zu schwächen. Wer also die Rechten schwächen will, muss das tun, was die Rechten wollen. Dann werden sie schwächer. So denken die Leute in den anderen Parteien. Hallo? Schon mal was von Logik gehört? Kann ich meinen Gegner dadurch schwächen, dass ich mache, was er will? Rhetorische Frage, klar – Ergebnis ist, dass ich meinen Gegner bestätige und stärke, wenn ich tue, was ihm gefällt. Ergebnis ist, dass alle anderen Parteien die Einstellungen der AfD übernehmen. Nicht nur das, sie setzen auch das in praktische Politik um, was die AfD will, obwohl sie nirgends die Macht hat, ihren Ausländerhass in praktische Politik umzusetzen. Sie ist eine reine Oppositionspartei, die wächst, weil die anderen Parteien nichts von Politik verstehen. Aber eins haben sie: ganz viel Angst vor den Rechten, denn wenn diese an die Macht kommen, werden sie die anderen Parteien entweder entmachten oder ganz beseitigen. Ein Blick nach Ungarn und Russland reicht, um die Zukunft eines Deutschland unter AfD-Herrschaft ganz konkret zu sehen, das ist ganz einfach und das sagen uns die AfD-Leute jeden Tag, was sie anstreben und wo ihre Vorbilder sind. Und jetzt meinen unsere anderen Parteien, sie würden die Machtübernahme der AfD dadurch verhindern, dass sie die Politik der AfD selbst machen! Sie gehen also ohne irgendeine Notwendigkeit selbst auch auf den Weg nach rechts und ändern ihre vorherige Praxis, ihre Programme um, indem sie sich der AfD inhaltlich eindeutig annähern. Sie leben tatsächlich in der vollkommen irren Vorstellung, dass man den Faschismus dadurch verhindert, dass man sich selbst dem Faschismus öffnet und seine Politik übernimmt. Unfassbar! Die von der AfD gewünschte Asylpolitik machen jetzt die anderen Parteien, die an der politischen Macht beteiligt, sind, als Regierungsparteien, während die AfD weiterhin Opposition ist.

Zweiter Punkt des Themas: Asylpolitik ist Armenpolitik. Es geht darum, dass Zugewanderte für eine gewisse Zeit Sozialhilfe bekommen, möglichst wenig Sozialhilfe. Damit ist Asylpolitik Politik für die Armen, stopp: ab sofort, weil ja alle der AfD entgegenkommen wollen, natürlich Politik gegen die Armen. Die meisten Asylanten sind Arme und haben keine Mittel zum Leben; OK, es gibt auch andere, die sich Flüchtlingshelfer und mehr leisten können, also entgegen mancher linken Illusion sind die Asylanten keine Basis für Demokratie und Revolution, sondern eine in sich sozial gespaltene Gruppierung, aber das ist nur eine Randnotiz. In Deutschland richtet sich auch unter der Ampel die Politik kräftig gegen die Armen, dafür steht vor allem die klassische Partei der Reichen in der Ampel, die FDP, die für die Freiheit der Reichen kämpft, nicht nur auf der Autobahn, sondern überall.

Aber dem gesamten Politiksystem mangelt es an Logik. Wenn ich gegen vermeintlichen oder realen Missbrauch von öffentlichen Geldern durch Arme vorgehe und intensive Armenpolitik gegen Arme betreibe, stellt sich doch die Frage, warum ich denselben Missbrauch nicht auch bei den Reichen thematisiere und ebenso intensive Reichenpolitik, also Politik gegen die Reichen betreibe. Warum passiert in dieser Hinsicht bei uns gar nichts? Warum gibt es keine Vermögensteuer mehr? Warum wird bei Menschen, die im Monat vielleicht tausend Euro bekommen, millimetergenau hingeschaut, aber bei anderen, die im Monat vielleicht eine oder zehn oder mehr Millionen bekommen, gar nichts unternommen? Warum werden Reichen, die ja tatsächlich das selbst immer wieder fordern – zuletzt auf dem diesjährigen Reichentreffen in Davos – ihnen höhere Steuern abzuverlangen, sie sind gerne bereit, mehr zu zahlen – eben keine höheren Steuern abgenommen? Was ist das für ein falsches Spiel? In welchem falschen Film sind wir da? Armenpolitik soll uns vor der AfD retten? Reichenpolitik wird nicht betrieben? Ist es nicht die Ursache Nummer eins für den Aufstieg der Rechten in Deutschland und anderswo, dass die soziale Ungleichheit gewaltig zugenommen hat und immer schneller wächst, während die Politik dagegen nichts unternimmt? Im Gegenteil, die Armenpolitik verschärft die soziale Misere der Unterschichten und die nicht vorhandene Reichenpolitik macht diese immer reicher – obwohl viele Reiche das gar nicht wollen und auch wirklich nicht brauchen. Wer bei uns als Reiche*r noch eine gewisse moralische Verpflichtung empfindet, der Gesellschaft etwas zurückzugeben und um höhere Besteuerung bittet, wird verhöhnt. Gleichzeitig wird den Armen von dem Bisschen, das sie haben, noch etwas weggenommen. Ist das Politik? Ist das Politik im Kapitalismus? Politik gegen die Armen und für die Reichen? Ist das das Konzept gegen die Rechten? Gegen die AfD? Auweia!

Literatur: Hans-Peter Martin, Game Over. Wohlstand für wenige, Demokratie für niemand, Nationalismus für alle, München 2018; Norbert Häring, Endspiel des Kapitalismus. Wie die Konzerne die Macht übernahmen und wie wir sie zurückholen, Köln 2021.

Dr.HeinzArnold

Abitur in Biedenkopf/Lahn, Studium Anglistik, Politik, Geografie, Philosophie, Soziologie, Pädagogik an den Universitäten Heidelberg und Marburg/Lahn, Promotion Dr. rer. pol. Universität Kassel, Lehraufträge in Geografie und Politik an den Universitäten Trier und Kassel, zahlreiche Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen in Politik, Soziologie und Geografie, in der politischen Linken aktiv seit 1968. Bücher u.a.: Linke Politik - eine kritische Einführung, Hamburg 2020; Gesellschaften, Räume, Geografien, Trier 1997; Disparitäten in Europa: Die Regionalpolitik der Europäischen Union - Analyse, Kritik, Alternativen, Basel/Boston/Berlin 1995; Saar-Lor-Lux/Trier-Westpfalz/Wallonie - Strukturen und Perspektiven einer Europäischen Großregion, Trier 1998; Soziologische Theorien und ihre Anwendung in der Sozialgeografie, Kassel 1988; Aldous Huxley, Brave New World, Berlin 2005 (Hrsg.); Lektüreschlüssel George Orwell, Animal Farm, Stuttgart 2011

You may also like...

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *