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Brandmauer gegen die AfD?

Das Fragezeichen hinter diesem Motto der CDU kommt nicht von ungefähr. Es ist überhaupt seltsam, dass eine solche Brandmauer ausgerechnet von der CDU und der CSU gefordert wird bzw. sie sich selbst diese Abwehrkonstruktion zu eigen gemacht hat. Wieso eigentlich? Warum haben sie sich die anderen Parteien nicht auf die Fahnen geschrieben und öffentlich herausposaunt?

1975 hat ein Minister der Regierung Schmidt/Genscher (SPD/FDP) im Bundestag einen lichten Moment gehabt – viele solche Momente hatten die Minister dieses Kabinetts nicht gerade – und in einer hitzigen Debatte sinngemäß folgende Worte an die CDU/CSU-Fraktion gerichtet: “Diejenigen, die diese beiden Weltkriege verursacht haben, stehen Ihnen geistig näher als der SPD!” Darauf folgten heftige Verlautbarungen aus der konservativen Fraktion und ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, die CDU/CSU-Fraktion hat aus Protest den Saal verlassen.

Die Konservativen waren wirklich getroffen. Sie hatten sich eine historische Wahrheit anhören müssen, die sie nicht erwartet hatten, schon gar nicht von der damals schon vollständig gezähmten und submissiven Partei SPD, die die Grundsäulen des Systems der Marktwirtschaft und der Politik der Anpassung an die Wünsche der bundesdeutschen Konzerne längst zu ihrer Herzensangelegenheit erklärt hatte.

Sie waren erschüttert, weil es jemand wagte, auf die historische Kontinuität der Konservativen und ihrer Parteiengeschichte aus Kaiserreich und Weimarer Republik hinzuweisen: auf ihren endlosen und intransigenten Widerstand gegen die Demokratie und die bürgerlichen Freiheiten, die eine demokratische Republik bieten würde.

Um Tacheles zu reden: Es waren zum Beispiel in der Weimarer Republik die Parteien der Harzburger Front gegen diesen Staat, die am 11. Oktober 1931 zusammenkamen, um ihre Heerschau der nationalen Opposition gegen die Demokratie zu zeigen: NSDAP, DNVP, DVP, Stahlhelm, Alldeutsche und andere Verbände. Von diesen erwies sich die Deutschnationale Volkspartei DNVP als wichtigster und entscheidender Steigbügelhalter der NSDAP, aber die anderen Parteien aus dem konservativen und sogernannten mittleren Spektrum wie etwa Zentrum und BVP leisteten keinerlei Widerstand gegen die Machtergreifung der NSDAP durch Hitler und lösten sich nach dem 30. Januar selbst auf. Das gesamte Spektrum des Konservatismus, ob deutschnational, volks- oder sozialkonservativ, lud eine hohe Verantwortung auf sich, die Nazis an die Macht gebracht zu haben. Das Kabinett der Hitler-Diktatur vom 30. Januar 1933 bestand ausschließlich aus Ministern mit NSDAP-Hintergrund (nur zwei), deutschnationaler Parteimitgliedschaft oder konservativer Fachorientierung – ein fast vollständig konservativ dominiertes Gremium für die Beseitigung der Demokratie, geführt vom Faschistenführer Hitler.

Vor diesem Hintergrund wissen nicht nur die Historiker, dass der deutsche Faschismus nur die Macht übernehmen konnte, weil das gesamte konservative Lager – von ein paar Einzelpersönlichkeiten abgesehen – mit den Deutschnationalen als größter und mächtigster Gruppe an der Spitze diesen Faschismus gefördert, unterstützt und schließlich an die Machthebel des Staates gebracht hat, auf legalen Wegen, sodass die Weimarer Republik zerstört und das Teufelswerk der deutschen Faschisten politisch umgesetzt werden konnte, mit vielen Millionen Toten und Auschwitz als Gipfel der Perversion.

Was hat das mit der Aussage des SPD-Ministers von 1975 zu tun (ich glaube, es war der Wirtschaftsminister Alex Möller)? Klar ist, dass die SPD selbst mit der Zerstörung der Demokratie von Weimar direkt nichts zu tun hatte und diese Republik immer getragen und gestützt hat, bis zum Ende. Zwar hat sie schwere Fehler beim Widerstand gegen die Nazis vor 1933 gemacht, genauso wie die KPD und andere Organisationen wie die Gewerkschaften und die Kirchen, doch sie war an der Vernichtung der Demokratie nicht beteiligt. Aber es war doch ein richtiger und klarer Hinweis darauf, dass viele Strömungen und Quellen von CDU/CSU als konservativer Sammelpartei in der Bundesrepublik geistig auf der Kultur und dem Ideengut der Weimarer Konservativen beruhten und aus diesen hervorgegangen waren; letztlich war ja zumindest der Zweite Weltkrieg von den Faschisten verursacht worden, denen die Weimarer Konservativen, insbesondere die Deutschnationalen, in den Sattel geholfen hatten. Damit war Möllers Äußerung berechtigt und der Protest der bundesdeutschen Konservativen verfehlt; eher heuchlerisch und ein Beweis ihrer Unfähigkeit zur Reflexion ihrer Vorgeschichte; sie wollten ihr schlechtes Gewissen durch einen Tumult verdrängen, anstatt sich ihm zu stellen und die Wahrheit öffentlich zu machen.

Aber dieses schlechte Gewissen lebt, obwohl es merkwürdigerweise in der öffentlichen Debatte dieses Landes überhaupt nicht thematisiert wird. Warum nicht? Warum sagt keiner, dass die Konservativen in der Weimarer Zeit ein großes Maß an Schuld für die Zerstörung der Demokratie trugen? Wie verkorkst ist unser öffentlicher Politikdiskurs mittlerweile? Gehört diese Art von Verdrängung zu den Gesetzen des Mainstreams? Soll etwa vorgespiegelt werden, die CDU/CSU sei nicht mehr konservativ? Sind Merz und Söder etwa keine klassischen Konservativen? Welchen Sinn hat diese seltsame Schönfärberei?

Bemerkenswert ist ja nun doch, dass ausgerechnet der Vorsitzende der CDU mit der Brandmauer gegenüber der AfD auf den Plan tritt – ich meine, darin steckt einzig und allein der Gedanke: “Wir sind geläutert und wollen nicht wieder wie in der Weimarer Zeit Faschisten helfen, die Demokratie zu zerstören” – aber ohne ihn zu äußern. Es wird einfach betont, und nur von dieser Partei, man müsse eine Brandmauer zur AfD errichten und aufrecht erhalten. Das wäre ja eine löbliche Position und natürlich das Mindeste, was man von den Konservativen angesichts ihrer Unterstützung für die Faschisten bei der Demokratiebeseitigung zu Weimarer Zeiten erwarten könnte.

Tatsächlich ist die AfD eine rechtsextreme Partei neuen Typs; sie vereint im Gegensatz zu Weimarer Zeiten Faschisten und Deutschnationale in einer Partei und ist deshalb besonders geschickt als Partei, die real dieselben Ziele anstrebt wie die NSDAP, aber Teile des Konservatismus in sich mitträgt. Und es ist weiterhin besonders, dass viele ihrer Mitglieder und Funktionäre aus dem Bereich von CDU und CSU kommen, sodass Versuche denkbar wären, Wähler zu den konservativen Parteien zurückzuholen. Ich halte das für eine naive These der Konservativen, die erneut zeigt, dass sie aus der Geschichte nichts gelernt haben und die Faschisten weiterhin unterschätzen.

Während bei den Weimarer Faschisten die Ziele doch recht offen proklamiert wurden, täuscht die AfD so etwas wie einen nationalistischen Konservatismus vor, während sie tatsächlich ohne Zweifel eine brutale Diktatur anstrebt, in der alle, die keine Faschisten sind, unterdrückt werden – alle, die nicht dafür sind, werden zu Feinden erklärt und müssen mit Verfolgung und Tod rechnen. Die volle Macht der AfD wird bedeuten, dass Rassismus, Homophobie, Beseitigung aller Menschen- und Bürgerrechte, Notstand auf Dauer, Mord und Totschlag vollständig umgesetzt werden, dass Deutschland seinen Wohlstand verliert und dass es den Deutschen miserabel gehen wird, dass die deutsche Armee andere Länder besetzt und Europa erneut in Schutt und Asche gelegt wird, mit Millionen Toten.

Das ist die Wahrheit und darüber gibt es nichts zu diskutieren, wie sehr sich die heutigen Faschisten in Form der AfD auch darstellen und verstellen. Auch Hitler und seine Bande haben vor dem Machtantritt und bis zuletzt pausenlos das Blaue vom Himmel heruntergelogen, um ihre Machtgier, ihre Mordlust und ihre Zerstörungswut zu befriedigen. Deshalb darf der AfD über ihr Programm und ihre Zukunftsvorstellungen kein Wort geglaubt werden. Sie ist die direkte Nachfolgepartei der NSDAP mit einem erweiterten Spektrum von Deutschnationalen, die früher noch eine eigene Partei betrieben. Sollte sie an die Macht kommen, werden die Begriffe Menschlichkeit, Freiheit, Demokratie, Brüderlichkeit, Toleranz, Recht und Charakter keinerlei Inhalt mehr haben; alles, was damit in Verbindung gebracht werden kann, wird beseitigt.

Die richtige und einzig wirksame Maßnahme, um dem üblen Treiben dieser Partei ein Ende zu bereiten und Deutschland und Europa vor dem Faschismus zu schützen, ist ein sofortiges und vollständiges Verbot der AfD. Eine wie auch immer geartete Brandmauer – das wissen alle seit dieser Woche aufgrund der Ereignisse in Thüringen, wo CDU and AfD im Parlament gemeinsam ein Gesetz verabschiedet haben – kann dagegen nichts ausrichten, selbst wenn sie tragfähig wäre. Die CDU ist nicht in der Lage, eine Brandmauer gegen die deutschen Faschisten zu errichten. Hat sie den ernsthaften Willen dazu?

Literatur: Axel Schildt, Konservatismus in Deutschland. Von den Anfängen im 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 1998; Ted Honderich, Das Elend des Konservativismus. Eine Kritik, Hamburg 1994; Reinhard Kühnl, Formen bürgerlicher Herrschaft. Liberalismus – Faschismus, Reinbek 1981.

Dr.HeinzArnold

Abitur in Biedenkopf/Lahn, Studium Anglistik, Politik, Geografie, Philosophie, Soziologie, Pädagogik an den Universitäten Heidelberg und Marburg/Lahn, Promotion Dr. rer. pol. Universität Kassel, Lehraufträge in Geografie und Politik an den Universitäten Trier und Kassel, zahlreiche Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen in Politik, Soziologie und Geografie, in der politischen Linken aktiv seit 1968. Bücher u.a.: Linke Politik - eine kritische Einführung, Hamburg 2020; Gesellschaften, Räume, Geografien, Trier 1997; Disparitäten in Europa: Die Regionalpolitik der Europäischen Union - Analyse, Kritik, Alternativen, Basel/Boston/Berlin 1995; Saar-Lor-Lux/Trier-Westpfalz/Wallonie - Strukturen und Perspektiven einer Europäischen Großregion, Trier 1998; Soziologische Theorien und ihre Anwendung in der Sozialgeografie, Kassel 1988; Aldous Huxley, Brave New World, Berlin 2005 (Hrsg.); Lektüreschlüssel George Orwell, Animal Farm, Stuttgart 2011

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