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Krankheit als Geschäft

Die vom Bundesgesundheitsminister angekündigte Krankenhausreform wurzelt in erster Linie in einem der übelsten Konzepte des Kapitalismus: Krankenhäuser sollen nur dann ein Existenzrecht haben, wenn sie gewinnbringend arbeiten, also dem fundamentalsten Prinzip der Marktwirtschaft unterliegen. Dafür wird unsere Zweiklassenmedizin im Versicherungsbereich jetzt durch eine Dreiklassenmedizin im Klinikbereich ergänzt bzw. weiter aufgespalten und damit noch eine qualitative Stufe unsozialer. Menschen in bestimmten Regionen werden große Entfernungen zurücklegen müssen, um medizinisch gut versorgt zu werden, der Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz wird einmal mehr vollständig ignoriert – was bei uns aus regionaler oder geografischer Sicht leider in vielen Feldern passiert, nicht nur im Gesundheitswesen. Viele Teile des Bundesgebiets sind wirtschaftlich, in der Bildung und in der Infrastruktur abgehängt, werden weiter benachteiligt und als peripher betrachtet; damit werden aber nicht nur die Gebiete, sondern vor allem die Menschen diskriminiert und in asozialer Weise zurückgelassen, in die Ecke gestellt.

Wenn ich über diese Orientierung der Krankenhausreform, also die Einführung der Dreiklassenmedizin, nachdenke, fällt mir nur ein Begriff ein: pervers. Wie kann es sein, dass die staatliche Politik ein Krankenhaus als reines Wirtschaftsunternehmen ansieht und erwartet, dass mit der Behandlung von Krankheiten Gewinne erwirtschaftet werden müssen? Leider übersteigt das meinen Horizont. Gesundheit kann nur dann hergestellt werden, wenn sie Gewinne bringt? Wenn die Einrichtungen zum Gesundwerden Profite abwerfen? Ein Krankenhaus ist demgemäß dann ein schlechtes Krankenhaus, wenn es keinen Gewinn macht, aber sehr gutes Ärzte- und Pflegepersonal hat, das hervorragende Erfolge aufweist. Ein Krankenhaus ist nach dieser Lesart ein gutes Krankenhaus, wenn es Gewinne abwirft, aber im medizinischen Bereich Unterdurchschnittliches leistet. Ist das nachvollziehbar? Kann das irgendwie begründet oder legitimiert werden? Was ist das für ein Verständnis von Gesundheit? Von Medizin? Gewinne und Profite sind offensichtlich wichtiger als die Gesundheit. Deshalb wird die Krankenhauslandschaft jetzt mal richtig durcheinandergewirbelt, im Namen des Gewinns. So ist die Situation. Ich wiederhole es gerne: Das ist eine Perversion, und zwar eine sehr schlimme.

Die Frage ist natürlich, wieso wird das gemacht? Warum wird das System Gesundheit in diesem Land zum x-ten Mal einer aufwendigen Umformung unterzogen, bei der auch diesmal wieder absehbar ist, dass es den Hauptbetroffenen, den Patienten sowie den Ärzte- und Pflegepersonen nichts als Nachteile und Rückschritte bringen wird: Wir werden drei Klassen von Ärzten und Pflegern haben, je nachdem, an welchem Krankenhaus sie gearbeitet haben, wir werden drei Klassen von Patienten haben, je nachdem, welches Krankenhaus sie sich mit ihrer Krankenversicherung und ihrem Standort in Bezug auf die großen Städte leisten können. Wenn ich also als Arzt länger an einem der neuen drittklassigen, kleinen Krankenhäuser schaffe, kann ich mir ein Weiterkommen in der medizinischen Laufbahn abschminken. Und wenn ich als Patient mit einem größeren Problem in ein zweitklassiges Krankenhaus komme, weiß ich im Voraus nicht, ob das gut geht; einen Anspruch auf das erstklassige Krankenhaus in der Metropole wird es nicht geben, aber die Chance darauf hat jedenfalls eher ein Privatversicherter, der auch in der Metropole wohnt.

Aber es muss doch auch Leute geben, für die diese Reform gemacht wird? So schwer ist des Rätsels Lösung nicht. Seit Jahren tönt es von der Überwindung oder gar dem Ende des Neoliberalismus, der Privatisierung zentraler Lebensbereiche. Davon ist im Gesundheits- oder Krankheitswesen nichts zu spüren. Immer mehr Einrichtungen, gerade auch Krankenhäuser, geraten in die Hände privater Konzerne, die sich auf diese Branche fokussieren. Und von daher wird dann auch klar, dass ein Krankenhaus vor allem anderen Gewinne bringen muss – im privaten Gesundheitskonzern ist dies das Kriterium Nummer eins für die Bewertung und den Fortbestand einer Klinik. Es müssen Gewinne her, egal was sonst noch wichtig sein könnte – Gesundheit oder Krankheit sind nur ganz gewöhnliche Produkte eines kapitalistisch funktionierenden Unternehmens.

Auf diesem Weg sind wir schon weit fortgeschritten und seit der Coronakrise sind die Konzerne in der Gesundheitsbranche voll in der Offensive, ob sie nun Impfstoffe oder Tests produzieren, die Gesundheitsberufe ausbilden oder Krankenhäuser betreiben. Die Krankenhausreform aus der Schublade des Gesundheitsministers entspricht voll den Wünschen und Interessen der privaten Gesundheitsunternehmen und wird ihre ohnehin hohen Gewinnspannen noch deutlich steigern, auf Kosten der Patienten und der Menschen, die im Gesundheitswesen berufstätig sind. Um für die Zukunft deren Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu rücken, also eine Institution aufzubauen, deren oberstes Ziel die Gesundheit der Bevölkerung ist, muss das gesamte Krankenhauswesen in die Hände von Kommunen und Ländern als Eigentümern gehen, die auch die regionale Standortverteilung und die gesamte Struktur des Kliniksystems bestimmen, im Rahmen eines Entscheidungssystems, in dem die lokale, regionale und föderale Bevölkerung in Kooperation bestimmt, was geschieht. Dazu würde eine einheitliche Krankenversicherung für alle mit hoher Qualität und einer fünfzigprozentigen Kostenträgerschaft des Bundes sehr gut passen.

Literatur: Bernie Sanders, Unsere Revolution. Wir brauchen eine gerechte Gesellschaft, Berlin 2017, S. 277-304.

Dr.HeinzArnold

Abitur in Biedenkopf/Lahn, Studium Anglistik, Politik, Geografie, Philosophie, Soziologie, Pädagogik an den Universitäten Heidelberg und Marburg/Lahn, Promotion Dr. rer. pol. Universität Kassel, Lehraufträge in Geografie und Politik an den Universitäten Trier und Kassel, zahlreiche Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen in Politik, Soziologie und Geografie, in der politischen Linken aktiv seit 1968. Bücher u.a.: Linke Politik - eine kritische Einführung, Hamburg 2020; Gesellschaften, Räume, Geografien, Trier 1997; Disparitäten in Europa: Die Regionalpolitik der Europäischen Union - Analyse, Kritik, Alternativen, Basel/Boston/Berlin 1995; Saar-Lor-Lux/Trier-Westpfalz/Wallonie - Strukturen und Perspektiven einer Europäischen Großregion, Trier 1998; Soziologische Theorien und ihre Anwendung in der Sozialgeografie, Kassel 1988; Aldous Huxley, Brave New World, Berlin 2005 (Hrsg.); Lektüreschlüssel George Orwell, Animal Farm, Stuttgart 2011

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