Aus der Perspektive ernsthafter linker Politik ist Sarah Wagenknecht schon lange gescheitert, was immer sie jetzt noch vorhat. Sie war mal eine Vertreterin dieser Politik, als es in der Linkspartei noch einen linken Flügel gab, der antikapitalistisch argumentierte und verändernde Ideen propagierte. Das ist lange her und seitdem ist viel passiert, aber sie ist immer diesem Status einer Dissidentin, einer prominenten Abweichlerin, treu geblieben und hat letztlich durch dieses Image mediale und öffentliche Aufmerksamkeit und Zustimmung bekommen, aber nicht nur dadurch. Sie hat auch etliche Stimmungen und Wünsche aus der Bevölkerung aufgenommen und dabei zum Beispiel auch Mehrheitsmeinungen repräsentiert, die für mehr Gerechtigkeit und den Abbau der bei uns massiven sozialen Ungleichheit lange und nachhaltig vorhanden sind, die aber im gesamten politischen Spektrum vollständig ignoriert werden. Im Rahmen dieser Ignoranz wurde etwa eine der größten Befragungen in der EU von 2018 über soziale Ungleichheit und Diskriminierung von allen Parteien – leider auch von der Linken und auch von Wagenknecht – nicht zur Kenntnis genommen, in der in fast allen EU-Staaten wirklich große Mehrheiten von ihrer jeweiligen Regierung deutliche Maßnahmen gegen die soziale Ungleichheit fordern. Insgesamt ist Wagenknecht aber bis heute diesem Strang noch verpflichtet, sie argumentiert für soziale Gerechtigkeit.
Gleichzeitig führt sie seit bald zehn Jahren einen heftigen Flirt mit rechten und konservativen Vorstellungen, die mit linker Politik überhaupt nichts zu tun haben. Sie argumentiert in manchen Bereichen wie die fremdenfeindliche AfD und andere Rechte, sie gibt sich als ausgeprägte Schwärmerin von Ludwig Erhard zu erkennen, mit seinem Konzept des marktwirtschaftlichen Wohlstands für alle. Das bedeutet, sie hat sich von Toleranz und Liberalität im Prinzip genauso verabschiedet wie von einer Vorstellung über ein anderes, sozialeres Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. Sarah Wagenknecht kämpft heftig gegen die Idee von einem bedingungslosen Grundeinkommen und bietet wenig Einfälle über eine Reform des politischen Systems. Sie hat sich bis zur letzten Sekunde als eine der größten Verharmloserinnen in der bundesdeutschen Politik in Bezug auf den russischen Führer und das System der russischen Diktatur erwiesen. Heute genießt sie großes Ansehen bei den Faschisten in Russland, weil sie zu denen gehört, die der Ukraine raten, die Waffen niederzulegen und sich damit dem russischen Terrorregime kampflos zu unterwerfen. Sie ist bis heute mit all diesen ideologischen Positionen weit weg von allem, was linke Politik bedeutet und es ist nicht erkennbar, dass sie davon irgend etwas zurücknehmen oder kritisch reflektieren könnte.
Insofern ist bei dem, was jetzt von ihr unternommen wird, nichts Gutes zu erwarten. Sie wird vielleicht eine neue Partei gründen, sie könnte auch in die SPD eintreten oder in die CDU, da gibt es viele Positionen, die auch von ihr vertreten werden; die AfD hat ihr mit Begeisterung die sofortige Aufnahme angeboten. Es hat gerade eine Befragung gegeben, danach besteht eine Lücke für eine Partei, die zugleich rechts und links orientiert ist. Die also fremdenfeindlich ist und zugleich für Wirtschaftsreformen im Sinn der Unterschichten eintritt. Was für eine Partei wäre das? Ihre Wurzeln und ihre Traditionen sind bekannt. Rechte, rassistische und fremdenfeindliche, autoritäre Positionen und zugleich sozialreformerische Agitation hat es in der deutschen Parteiengeschichte in ein und derselben Partei schon gegeben. Diese Mischung war das passende Instrument in der Gewinnung von Stimmen in der extrem krisenhaften Endphase der Weimarer Republik, als es Massenarbeitslosigkeit und eine antidemokratische Elite in der Gesellschaft gab, die im gemeinsamen Zangengriff das Ende der Demokratie, den Holocaust an den Juden, eine blutige Diktatur und den Zweiten Weltkrieg brachten.
Welche Partei hat mit diesem bewusst zusammengerührten ideologischen Gemisch das alles verursacht? Das war die NSDAP unter Führung Adolf Hitlers. Sie hat allerdings dann im Frühjahr und Sommer 1934 mit allen, die auch nur irgendwie abweichend dachten oder den Antikapitalismus vielleicht tatsächlich erwägen würden, auf brutalste Weise Schluss gemacht und sie zusammen mit einigen anderen konservativen und deutschnationalen Gegnern Hitlers einfach ermordet – in diesem Moment war endgültig klar, dass Diktatur, Krieg, Holocaust und Intoleranz das wirkliche Konzept dieser Partei waren und die “linken” Argumente nur propagandistisches Beiwerk zwecks Stimmengewinnen bis zum Ende der repräsentativen Demokratie am 30. Januar 1933.
Ich sage nicht, dass die neue Wagenknechtpartei diesem Weg folgen muss, aber es erscheint mir evident, dass eine Partei, die zugleich linke und rechte Ideen und Konzepte vertritt, am Ende höchstwahrscheinlich eine rechte Partei sein wird – Wagenknechts Weg führt seit etwa zwei Jahrzehnten kontinuierlich nach rechts, deshalb wäre das logisch. Und selbst, wenn sie beide Linien, die rechte und die linke, gleichgewichtig verfolgen würde, bliebe sie ein Unsinn in sich, ein Nullsummenspiel, in dem sich gute und schlechte Vorschläge und Maßnahmen ständig gegenseitig aufheben.
Deshalb finde ich, dass Sarah Wagenknecht schon lange, vor einer eventuellen Parteigründung mit einem linken und einem rechten Programm, gescheitert ist, was immer sie jetzt macht. Ich empfehle ihr ernsthaft, sich ein bisschen mehr mit der Geschichte der demokratischen und undemokratischen Ideen und Entwicklungen in Deutschland zu befassen und einzusehen, dass eine solche Partei schon im Moment der Gründung obsolet geworden und darüber hinaus gefährlich ist. Das wäre doch ein hübsches Thema für eine kritische Selbstreflexion in ihrem nächsten Buch!
Fazit: Sarah Wagenknecht ist alles in allem sicherlich subjektiv eine aktive Figur im politischen System der Bundesrepublik. Aber für mich ist sie objektiv ein Opfer des Medienhypes um sie und ihre permanente innerparteiliche Opposition. Wenn sie die Linkspartei verlässt, werden die Medien das übersteigerte Interesse an ihr möglicherweise verlieren. Und sie ist noch mehr ein Opfer des politischen Systems selbst: des anhaltenden Erfolgs der rechtsradikalen AfD, von dem sie übermäßig beeindruckt ist und dem sie opportunistisch nachgibt.
Literatur: Kurt Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933, München 1978; Reinhard Kühnl, Die nationalsozialistische Linke 1925-1930, Meisenheim/Glan 1966; Leo Trotzki, Porträt des Nationalsozialismus. Ausgewählte Schriften 1930-1934, Essen 1999; Charles Bloch, Die SA und die Krise des NS-Regimes 1934, Frankfurt/Main 1970; Georg Lukács, Von Nietzsche bis Hitler oder Der Irrationalismus in der deutschen Politik, Frankfurt/Main 1966; Wolfgang Schroeder/Bernhard Weßels (Hg.), Smarte Spalter. Die AfD zwischen Bewegung und Parlament, Bonn 2019; Franziska Heinisch, Wir haben keine Wahl. Ein Manifest gegen das Aufgeben, München 2021; European Commission, Fairness, inequality and intergenerational mobility, Brüssel 2018 (Special Eurobarometer 471, April 2018); Michael Barthel/Benjamin Jung, Völkischer Antikapitalismus. Eine Einführung in die Kapitalismuskritik von rechts, Münster 2013.