Viele Äußerungen zum Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine erwecken den Eindruck, es ginge hier vor allem um eine militärische Auseinandersetzung zwischen beiden Ländern oder um die Eroberungssucht eines einzelnen Mannes, des russischen Führers. Entsprechend oberflächlich und wenig intelligent sind die Forderungen, die von diesen Positionen vorgetragen werden – sofortiger Waffenstillstand und Verhandlungen oder diplomatisches Einwirken auf diesen Führer gelten dann als sinnvolle Schritte für eine Lösung des Problems. Ein Vergleich der beiden Länder und ihrer politischen Strukturen im Innern sowie ihrer Aktivitäten nach außen zeigt, dass es um mehr als Militär und Nationalismus geht. Russland ist heute eine der brutalsten Diktaturen auf der Erde und lebt im Dauernotstand, ohne jegliche demokratischen Rechte für die Bevölkerung. Es ist international weitgehend isoliert, hat aber noch ein paar Bündnispartner – fast alle der bekannten Diktaturen, die genau wie Russland von faschistischen oder halbfaschistischen Regimes beherrscht werden: Iran, Syrien, Nicaragua, China, die Türkei. Und der russische Führer ist Idol und Geldgeber für zahlreiche neofaschistische und diktatorisch orientierte politische Bewegungen und Parteien weltweit, zum Beispiel für die Rechtsextremisten in Frankreich. Und sowohl die innere faschistische Diktatur als auch die Aggression nach außen mit dem Krieg gegen die Ukraine werden von einer Mehrheit der Bevölkerung Russlands unterstützt. Es wird geschätzt, dass diese Zustimmung in den ländlichen Gebieten bei 90 Prozent liegt, in Klein- und Mittelstädten bei 75 bis 80 Prozent und in den Großstädten bei 60 bis 70 Prozent. Die Ukraine ist dagegen seit mehreren Jahrzehnten mit großer Mehrheit an einem Aufbau von Demokratie und Rechtsstaat interessiert und hat dafür viele und weitreichende Schritte unternommen. Sie verfügt seit etwa einem Jahrzehnt über eine funktionierende parlamentarische Demokratie und eine demokratisch orientierte Gesellschaft, die Anschluss an europäische Institutionen mit grundsätzlich demokratischer Grundlage sucht und für diese Bestrebungen von einer großen Mehrheit der Bevölkerung getragen wird – etwa 90 Prozent im gesamten Land, auch im östlichen Teil. Eine solche Entwicklung ist der russischen Diktatur äußerst unangenehm und erscheint ihr besonders gefährlich, wenn sie in einem benachbarten Staat erfolgt – das hat sie bereits Georgien mit kriegerischen Mitteln verdeutlicht. Sie behauptet, ihr Krieg gegen die Ukraine richte sich gegen die dort herrschenden Faschisten und man müsse das Land befreien. Tatsächlich ist das, wie fast alles, was die russischen Führungskräfte behaupten, eine faustdicke Lüge. Die wirklichen Faschisten herrschen in Russland und sie kämpfen gegen die Demokratie in der Ukraine. Dafür führen sie einen brutalen Krieg ohne jegliche Grenzen und jenseits aller Humanität, dessen Ziel ein Völkermord und dessen Mittel Kriegsverbrechen ohne Ende sind – insbesondere Massenmorde an Zivilisten und Kindern. Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine ist der politische Krieg der russischen Diktatur gegen die Demokratie in der Ukraine, aber auch gegen die Demokratie an sich. In diesem politischen Konflikt kann es meiner Ansicht nach für die politische Linke nur eine klare Parteinahme für die Demokratie und gegen die Diktatur geben, für die Ukraine und gegen Russland und seinen Führer. Das ist die aktuelle Notwendigkeit aus politischer Perspektive. Historisch wiederholt sich hier der wichtigste politische Konflikt des 20. Jahrhunderts – der Kampf zwischen den demokratischen Alliierten und dem faschistischen Dritten Reich mit seinen Achsenmächten Italien und Japan. Wir wissen heute, dass der historische Faschismus nur mit militärischen Mitteln daran gehindert werden konnte, die Welt unter Diktatur und Elend zu begraben. Es bleibt zu hoffen, dass der heutige Antifaschismus und Antiimperialismus es schafft, das faschistische Russland schneller zum Nachgeben zu zwingen, als es im Zweiten Weltkrieg gegenüber Hitlerdeutschland geschehen ist. Literatur: Michael Thumann, Revanche. Wie Putin das bedrohlichste Regime der Welt geschaffen hat, München 2023; Gesine Dornblüth/Thomas Franke, Jenseits von Putin. Russlands toxische Gesellschaft, Freiburg i. Br. 2023.
Dr.HeinzArnold
Abitur in Biedenkopf/Lahn, Studium Anglistik, Politik, Geografie, Philosophie, Soziologie, Pädagogik an den Universitäten Heidelberg und Marburg/Lahn, Promotion Dr. rer. pol. Universität Kassel, Lehraufträge in Geografie und Politik an den Universitäten Trier und Kassel, zahlreiche Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen in Politik, Soziologie und Geografie, in der politischen Linken aktiv seit 1968. Bücher u.a.: Linke Politik - eine kritische Einführung, Hamburg 2020; Gesellschaften, Räume, Geografien, Trier 1997; Disparitäten in Europa: Die Regionalpolitik der Europäischen Union - Analyse, Kritik, Alternativen, Basel/Boston/Berlin 1995; Saar-Lor-Lux/Trier-Westpfalz/Wallonie - Strukturen und Perspektiven einer Europäischen Großregion, Trier 1998; Soziologische Theorien und ihre Anwendung in der Sozialgeografie, Kassel 1988; Aldous Huxley, Brave New World, Berlin 2005 (Hrsg.); Lektüreschlüssel George Orwell, Animal Farm, Stuttgart 2011