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Die AfD bekämpfen

Die AfD bekämpfen heißt zunächst, sie in der Arena der Ideen zu widerlegen. Aufzuzeigen, dass ihre Aussagen über die Wirklichkeit in zentralen Punkten falsch sind und auf Halbwahrheiten, Lügen und Vorurteilen beruhen – ohne dabei in die haltlose Annahme zu verfallen, alle ihre Aussagen seien falsch. Das sind sie nicht, sonst würde niemand die AfD wählen. Das Schlimme ist, dass diese Partei qualitativ mehr Unwahrheiten verbreitet als die anderen Parteien und trotzdem zurzeit die einzige ist, deren Anhängerschaft wächst. Viele ihrer Wähler*innen wissen, dass die AfD ein gestörtes Verhältnis zur Wahrheit hat und wählen sie dennoch, weil ihnen die anderen Parteien als Verräter an der Demokratie und als politische Versager erscheinen, als Vertreter eines ungerechten Systems. Dagegen hilft zum Beispiel die Lektüre von Büchern, die im Bereich der Ideen nachweisen, wie wenig Wahrheit in Ideologie und Alltagsäußerungen der AfD enthalten ist – etwa das unten genannte Buch von Volker Weiß.

Die AfD lebt davon, dass in unserem parlamentarischen System eine Repräsentationslücke besteht. Unsere Parlamente, angefangen beim Bundestag, aber auch in Ländern und Kommunen, sind nicht so zusammengesetzt wie die Bevölkerung. Viele Gruppen sind deutlich zu schwach vertreten, zum Beispiel Menschen mit unterdurchschnittlichem Einkommen. Das führt dazu, dass bei uns im Parlament über reale fünf Euro Erhöhung von Hartz IV bzw. Bürgergeld riesige Debatten geführt werden, während jede noch so geringe Steuererhöhung für Reiche und Superreiche absolut tabu ist. Das zweite große Problem, das viele zur Wahl der AfD drängt, besteht in der ständig geringer werdenden Rolle unserer politischen Institutionen, der Parlamente an erster Stelle; viele Funktionen und Aufgaben, die diese eigentlich hätten, sind in den letzten Jahrzehnten ausgehöhlt und an andere Institutionen übergegangen, sodass es eine sichtbare Entmachtung der demokratischen Einrichtungen gibt. Ein Beispiel: Das Wirtschaftsrecht wird zunehmend durch internationale Abkommen dominiert, mit denen staatliche Rechtssysteme in ihren Kompetenzen eingeschränkt werden.

Was kann dagegen getan werden? Die Entmachtung der Parlamente einerseits und ihre nicht repräsentative Struktur andererseits können beendet werden. Die Rolle nicht parlamentarischer Einrichtungen kann wieder zurückgefahren werden, es können Quoten für die Parlamente verbindlich gemacht werden, zum Beispiel 50 Prozent für Frauen, 90 Prozent für Arbeitnehmer*innen, 20 Prozent für Migrant*innen usw. Eine Fehlentwicklung sehe ich auch darin, dass bei uns Politiker*innen von den Medien zu Stars gemacht werden, was sie absolut nicht sind. Es ist nicht richtig, wie in diesem Land und in vielen anderen Ländern Menschen, die trotz vieler Instrumente und Möglichkeiten die Probleme nicht lösen, in einer Vor- oder Hauptstufe von Personenkult als besondere Personen dargestellt werden, und sich noch dazu in diesem Personenkult sonnen und selbst bespiegeln. Unser Medien- und Politiksystem sorgt dafür, dass Politiker*innen sowohl in ihrer Selbsteinschätzung als auch in der Fremdeinschätzung total überhöht werden. Das haben sie wirklich nicht verdient, denn sie leisten einfach zu wenig, aber im repräsentativen System werden sie als etwas Besonderes dargestellt. Wenn man sich die Geschichte der Bundesrepublik genauer ansieht, waren sie fast immer deutlich hinter der Meinungs- und Wissenskompetenz der Bevölkerung zurück und haben viele Entscheidungen getroffen, die nicht dem insgesamt progressiveren Denken der Mehrheit entsprachen. Leider ist das bis heute so geblieben. Einer der wichtigsten Gründe dafür, das repräsentative System langfristig durch ein stärker plebiszitäres zu ersetzen.

Um die Krise der Repräsentation, die in diesen schon lange bestehenden und ständig zunehmenden Mängeln unserer Demokratie offenbar wird, zu beseitigen, bietet es sich an, die repräsentative Demokratie auf allen Ebenen durch einfach zu aktivierende Mechanismen der direkten Demokratie zu ergänzen und schrittweise die repräsentativen Funktionen so einzustufen, dass die direktdemokratischen überwiegen. Das bedeutet, wer will, dass die AfD entscheidend geschwächt wird, muss der Bevölkerung, dem Souverän, selbst die volle Kompetenz über die Politik übergeben. Dass das möglich ist, zeigt zum Beispiel ein Land wie die Schweiz, die zugleich das demokratischste und reichste Land der Erde ist. Das ist sie nur deshalb, weil die Bevölkerung selbst über das entscheidet, was im Land passieren soll.

In Wirtschaft und Gesellschaft müssen ebenfalls wesentliche Veränderungen vorgenommen werden, wenn die AfD geschwächt bzw. ganz ausgeschaltet werden soll. Rechts wählen bedeutet einerseits, mit dem politischen System sehr unzufrieden zu sein. Aber es hat auch eine eindeutig soziale Ursache: die soziale Ungleichheit, die soziale Unsicherheit, die viele Menschen belastet und ihnen Angst macht. Deshalb ist die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens eine fundamentale Maßnahme gegen Wahlerfolge von rechtsradikalen oder rechten Parteien. Also keine alberne einmalige Zahlung einer Summe an alle Achtzehnjährigen – die total ungerecht wäre, denn was ist mit den anderen, die jünger oder älter sind, sie bekommen nichts – sondern ein ausreichendes monatliches Einkommen für alle Erwachsenen, lebenslänglich. Das schafft Sicherheit und vertreibt Ängste und Zukunftssorgen im grundlegendsten Feld des Lebens, der finanziellen Basis.

Hinzu kommen muss eine innere Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Wir leben immer noch in einer nur halb demokratischen Welt, die sich von dieser gefährlichen Situation leicht befreien könnte, indem alle Unternehmen, Organisationen, Verwaltungen und Institutionen im Innern demokratisch und selbstverwaltet gestaltet werden. Das bedeutet, es werden Abläufe und Prozesse eingeführt, bei denen zum Beispiel in einem Unternehmen die Mitarbeiter*innen selbst über die wichtigsten Vorgänge entscheiden, durch Versammlungen von Abteilungen oder des gesamten Unternehmenspersonals. In Institutionen werden Selbstverwaltungsorgane geschaffen, die per Mehrheitsentscheid beschließen, was mit der Institution geschieht und was in ihr geschieht, jenseits der heute immer noch herrschenden preußischen Befehlsstrukturen, bei denen alles Gute von oben kommt.

Um die Gerechtigkeitslücke zu schließen, muss in einem ersten zentralen Schritt die Steuerprogression so geändert werden, dass jenseits von 200.000 Euro Jahreseinkommen Höchstsätze bis zu 80 Prozent erhoben werden und dass Kapitaleinkünfte grundsätzlich höher besteuert werden als Arbeitseinkommen. Für die Verwendung dieser zusätzlichen staatlichen und gerechten Einkünfte liegen umfangreiche Aufgaben vor uns. Ich erwähne nur das Gesundheits- und Pflegesystem und die Altersarmut in diesem Land.

Auch im Rechtssystem sollten massive Schritte erfolgen, die gegen die Wahl der AfD wirken. Dazu gehört zum Beispiel die Aufnahme des Rechts auf Abtreibung ins Grundgesetz. Dazu gehört auch eine Frauenquote von 50 Prozent in der Verfassung für alle gesellschaftlichen Bereiche, also zum Beispiel für alle Führungspositionen in Schulen, Hochschulen, Unternehmen, Verwaltungen, Behörden und staatlichen und privaten Organisationen. Dazu gehört ein verfassungsmäßiges Verbot der Benachteiligung sozialer und demografischer Gruppen (nach Alter, Geschlecht, sozialer und regionaler Herkunft, Ethnie, Religion, Nationalität, Einkommen usw.). Diese Festschreibungen im Grundgesetz sollten nur unter dem Vorbehalt einer Dreiviertelmehrheit im Bundestag bzw. in einem bundesweiten Plebiszit geändert werden können, sodass sie auf Dauer sattelfeste Teile der Verfassung sind.

Damit ist zugleich evident, dass die AfD nicht dadurch geschwächt oder besiegt wird, dass man ihre Forderungen erfüllt und ihre Politik macht. Was zurzeit in der Flüchtlingspolitik passiert, ist die Umsetzung von AfD-Politik. Das nationalistische und fremdenfeindliche Geschrei nach mehr Abschiebungen und Ausweisungen ist ein absoluter Hohn auf das gesamte Gerede über die Ablehnung der AfD, ihre Gefährlichkeit und ihr negatives Wirken. Wer aus Deutschland ein Land mit weniger offenen Grenzen, mit mehr Abwehr von Zuwanderung und nationalistischer Propaganda macht, bekämpft die AfD nicht, sondern fördert sie. Jedes Nachgeben gegenüber den Rechten stärkt sie, macht sie selbstbewusster und optimistischer für das Erreichen ihrer Ziele. Und jedes Nachgeben hinsichtlich ihrer Parolen und Wunschträume schwächt die Substanz der Demokratie und macht die anderen Parteien schwächer und unglaubwürdiger; am schlimmsten an diesen Entwicklungen ist leider (wie so oft), dass die vermeintlichen AfD-Bekämpfer nicht merken, was sie tun. Darin kommt, das kann nicht anders gesagt werden, ihre politische Unreflektiertheit, ihre politische Dummheit, zum Ausdruck – wobei das genauso auch auf die bundesdeutschen Medien zutrifft, die das offenbar auch nicht durchschauen. Dabei liegt es klar auf der Hand, wenn nur minimal die Geschichte der Weimarer Republik studiert wird: Das Nachgeben gegenüber den Rechten hat diese am Ende mächtig und siegreich gemacht, also die Demokratie zerstört.

Schließlich muss in der Politik der Europäischen Union ein ganz entscheidendes Element der europäischen Integration wieder aktiviert und an die Spitze der Prioritätenliste gesetzt werden: das Subsidiaritätsprinzip. Die Rechten jammern über die Kompetenzverluste der Nationalstaaten und die Verlagerung von Kompetenzen in die Zentrale der EU. Tatsächlich war dieses Prinzip bis in die Neunziger hinein ein wichtiges Kriterium für jede Maßnahme der EU. Es beinhaltet, dass Kompetenzverlagerungen von den Nationalstaaten vor allem auf dezentrale Ebenen dieser Staaten erfolgen sollen, also nicht nach Brüssel oder Straßburg, sondern auf die Regionen und Kommunen der einzelnen Länder. Durch diese erneute Um- und Durchsetzung des Prinzips der Dezentralisierung in der Europäischen Union kann den Rechten der Wind aus den Segeln genommen werden, wobei es natürlich auch weiterhin Machtausübung durch die Zentrale geben muss, weil man zum Beispiel dem ökologisch gefährlichen, antidemokratischen und unsozialen Treiben von multinationalen Großkonzernen nur mit einheitlichen Maßnahmen der gesamten EU Einhalt gebieten kann. Europäische Integration bedeutet mehr Mitbestimmung und Mitentscheidung durch die Bürger*innen auf der Ebene von Gemeinde und Region. Sie bedeutet nicht, dass die Bürger*innen von Europa entfremdet werden. Das muss vielen gewählten Vertretern der Europäischen Union heute laut ins Ohr gebrüllt werden, denn sie haben offensichtlich vergessen, warum die Menschen ein einiges Europa wollen. Die Krise der Repräsentation ist an der EU nicht spurlos vorübergegangen. Die Bürger*innen wollen kein zentralistisches Europa und kein Europa der Konzerne, sondern ein Europa der Regionen, ein Europa der demokratischen und kulturellen Vielfalt. Angesichts dessen ist das Gezeter der Rechten, der Rechtsradikalen, der Rechtsextremisten, der Faschisten und der Europahasser für ein Europa der Nationalstaaten das Allerschlimmste, was der Europäischen Union passieren kann. Das Europa der Nationalstaaten ist schon 1914 und 1933 mit unfassbaren Folgen für die Menschen in Europa gescheitert. Wer danach ruft, ruft letzten Endes zum Dritten Weltkrieg auf.

Natürlich bleibt es weiterhin wichtig und richtig, dass bei uns Millionen ihre Abneigung gegenüber der AfD auf der Straße demonstrieren und dass jeden Tag gegen diese demokratiefeindliche Partei angeschrieben und geredet wird. Politisch besiegen kann man/frau sie aber nur durch eine kräftige Demokratisierung von Politik und Gesellschaft, durch ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit sowie durch rechtliche Regelungen, die genau das sichern, was die Rechten nicht wollen.

Um abschließend auf die Gefahr des Vergessens hinzuweisen: Niemand darf vergessen, woher die AfD mit ihrer Mischung aus Rechten, Rechtskonservativen, Identitären, Nationalisten und Faschisten letztlich herkommt – ihre Wurzeln hat sie in Deutschland wie in allen anderen Ländern im klassischen Konservatismus, in der politischen Strömung, die seit Jahrhunderten Aufklärung, Gleichheit, Toleranz und Freiheit bekämpft und in diesem Kampf immer ein sehr breites Spektrum bietet und einsetzt. Die Wurzeln der AfD führen personell, programmatisch und historisch vor allem zur CDU/CSU, das ist ganz klar. Und bei jeder wirksamen Gegenstrategie in Bezug auf die AfD muss immer wieder betont werden, dass es hier um die faschistische Gefahr geht, also die vollständige Beseitigung von Demokratie und Freiheit, durch eine politische Variante des Kapitalismus, eine Karte, die dieser ziehen kann, wenn sein System im Rahmen der parlamentarischen Demokratie in eine Bestandskrise gerät. Wohin der Faschismus führt, das konnte man/frau nach 1933 in Deutschland sehen und heute können wir es in Russland sehen. In einem Russland, dessen Hauptbeschäftigung Mord und Totschlag ist und mit dem sich die AfD eng verbunden fühlt.

Literatur: Volker Weiß, Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes, Stuttgart 2018; Armin Schäfer/Michael Zürn, Die demokratische Regression, Berlin 2021; Johanna Klages, Krise der Repräsentation, in: Joachim Bischoff u.a. (Hg.), Klassen und soziale Bewegungen. Strukturen im modernen Kapitalismus, Hamburg 2003, S. 152-159; Heinz Arnold, Linke Politik. Eine kritische Einführung, Hamburg 2020.

Dr.HeinzArnold

Abitur in Biedenkopf/Lahn, Studium Anglistik, Politik, Geografie, Philosophie, Soziologie, Pädagogik an den Universitäten Heidelberg und Marburg/Lahn, Promotion Dr. rer. pol. Universität Kassel, Lehraufträge in Geografie und Politik an den Universitäten Trier und Kassel, zahlreiche Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen in Politik, Soziologie und Geografie, in der politischen Linken aktiv seit 1968. Bücher u.a.: Linke Politik - eine kritische Einführung, Hamburg 2020; Gesellschaften, Räume, Geografien, Trier 1997; Disparitäten in Europa: Die Regionalpolitik der Europäischen Union - Analyse, Kritik, Alternativen, Basel/Boston/Berlin 1995; Saar-Lor-Lux/Trier-Westpfalz/Wallonie - Strukturen und Perspektiven einer Europäischen Großregion, Trier 1998; Soziologische Theorien und ihre Anwendung in der Sozialgeografie, Kassel 1988; Aldous Huxley, Brave New World, Berlin 2005 (Hrsg.); Lektüreschlüssel George Orwell, Animal Farm, Stuttgart 2011

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