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Trump

Donald Trump ist das heutige Gesicht der USA. Das muss als Ergebnis einer demokratischen Wahl akzeptiert werden. Was können wir als Folge dieses neuen Erdrutschs erwarten, was ist zu befürchten? Aber vorweg möchte ich kurz versuchen, diese Entwicklung zu Trump zu erklären, also zu der Situation, in der heute die USA quasi von der AfD regiert werden. Schließlich wird uns jetzt eine Lektion über unsere eigene Zukunft erteilt, wenn es den deutschen Nazis gelingt, hier erneut die Macht an sich zu reißen – ganz ausgeschlossen ist das nicht. Denn leider haben das viele noch nicht begriffen: dass die heutigen Nazis anders auftreten und anders aussehen als die von 1933 und dass Trump nur wenig anders machen wird als Weidel und Höcke an der Macht. Der Widerstand gegen den neuen Faschismus ist in den USA sehr schwach geworden und bei uns hat die Mehrheit noch nicht erkannt, dass dieser neue Faschismus nicht mehr weit von einer verheerenden Machtergreifung entfernt ist.

Trump in den USA, Orban in Ungarn, Xi in der VR China, Modi in Indien, Lukaschenko in Weißrussland und als übelste Kreatur in dieser Gang Putin in Russland – sie sind meiner Ansicht nach die Quittung der Menschen für eine Globalisierung der Weltwirtschaft, der Weltpolitik und der Weltkultur, die wie eine Riesendampfwalze alles plattgemacht hat, was diese Globalisierung auch nur im Geringsten behinderte. Die Globalisierung war usprünglich als weltweiter Freihandel angestoßen worden – was nichts Schlechtes ist, denn dadurch können viele nützliche Dinge für alle billiger werden, vorausgesetzt, die Anbieter, die global handeln, sind keine großen und supergroßen Unternehmen (leider waren es aber genau die Riesen- und Gigantenkonzerne, die den Freihandel beherrschten). Folge des globalisierten Freihandels war aber, dass nicht nur der Handel, sondern auch die Politik globalisiert wurde. Viele Institutionen auf nationaler Ebene, nicht nur Banken und Gesundheitsorganisationen, sondern auch Parlamente und Regierungen verloren ihre Kapazitäten und Entscheidungsmöglichkeiten, ihre Zuständigkeit im Rahmen ihres Landes, und wurden durch internationale und weltweite Organisationen ganz oder teilweise ersetzt, zum Beispiel durch die Weltbank, die Welthandelsorganisation WTO oder die Weltgesundheitsorganisation WHO und viele andere. Die Spitze des Eisbergs bildeten am Ende globale juristische Institutionen, mit denen die nationalen Rechtsstaaten zugunsten der multinationalen Konzerne entmachtet und ein gesondertes globales Wirtschaftsrecht zugunsten der Riesenkonzerne geschaffen werden sollte.

Dieser Prozess hat mindestens drei Jahrzehnte verstärkt und beschleunigt angehalten. Politik und Ökonomie taten so, als bliebe alles beim Alten, es wurde normal weiter gewählt, aber die Entscheidungsbasis der Wählerinnen und Wähler wurde Schritt für Schritt kleiner und immer mehr gestutzt. Aber etwa 2010/2015 war ganz vielen Menschen langsam bewusst geworden, dass sie durch den ökonomisch-politischen Globalisierungsprozess quasi entmündigt wurden, dass ihr Kreuz am Wahltag immer weniger wert war, dass ihre nationalen demokratischen Institutionen und Gremien immer weniger zu bestimmen hatten, dass also die Ebene, der sie sich mehr zugehörig fühlten als der gesamten Welt, praktisch entmachtet wurde.

Daran knüpften die Rechtspopulisten, die Neofaschisten, die Identitären, die Marsflieger und wie sich die neuen Faschisten auch nennen mögen, in cleverer Form an. Sie zögerten nicht, sich die profansten Symbole auf der nationalen Ebene, die Symbole der Nationalstaaten – Nationalflagge, Landessprache, nationale bzw. nationalistische Traditionen – neu und geschickt anzueignen, um sich so scheinbar auf die Seite der Menschen zu stellen, die über die politische Entmachtung ihres Landes und seiner demokratischen Institutionen zunehmend unzufrieden wurden.

Die Globalisierung ohne Limit und die politische Neuaneignung der nationalstaatlichen Symbole durch die neuen, geschickt getarnten Faschisten sind die beiden wichtigsten Ursachen der weltweiten Regression, die seit zehn bis fünfzehn Jahren einen Sieg nach dem andern feiert. Dass die Machtübernahme von so miserablen Figuren wie Putin, Lukaschenko, Trump, Xi, Modi und Urban möglich wurde, basiert auf diesen beiden Gründen. Sie sind durch und durch nationalistisch und reiten auf der nationalstaatlichen Karte herum, um die Demokratien zu zerschlagen und ihre Diktaturen weiter auszubauen. Sie haben es – meistens durch eine Kombination aus Appellen an den besonderen Wert des eigenen Volks mit einer schrittweisen Zerstörung demokratischer Strukturen und Verhältnisse – vollbracht, Liberalismus, Bürgerrechte, Menschenrechte und demokratische Institutionen Schritt für Schritt abzubauen, das Denken der Menschen auf nationale Symbole und Fantasien zu konzentrieren und ihnen eine Vision zu vermitteln, die in erster Linie nicht materiell, sondern ideologisch begründet ist, zumeist bezogen auf eine großartige Zukunft des eigenen Landes, als Wiederkehr einer früheren Großmacht oder einer angeblich glücklichen Zeit unter einer vergangenen Diktatur. Sie täuschen damit vor, sie würden die Entmündigung ihres Landes durch die Globalisierung überwinden und die Nation wieder zum Macht- und Hoffnungszentrum der Bürger machen. Erst diese Vision hat es ihnen auch ermöglicht, die gesamte Struktur ihrer nationalen Gesellschaft durch die strikte Machtausübung terroristischer Verbände (Geheimdienste, Spezialpolizei, Nationalgarde, Militärbanden usw.), zusammen mit einer vorherigen, aufwendigen und umfassenden Meinungsmanipulation durch zensierte und politisch gesteuerte Massenmedien wie Fernsehen und Internet, gegen alle Bürgerinnen und Bürger in den diktatorischen Griff zu bekommen und eisern zu unterdrücken, immer mit einem Schritt nach dem anderen, aber extrem konsequent.

Nun ist Trump auf diesem Weg noch nicht sehr weit gekommen, trotz seiner ersten Amtszeit. Auch Bolsonaro in Brasilien hat als Präsident nicht viel erreicht, obwohl auch er all das wollte. Die Frage ist, wie können wir verhindern, dass diese schreckliche Entwicklung in den USA und in Deutschland verhindert wird, welche Hebel können wir dafür ansetzen?

Es könnte so scheinen, als gäbe es von Trump etwas zu lernen. Denn Trump weiß um den Sachverhalt, dass die Globalisierung ihm die Wähler zugetrieben hat. Seine Wähler haben unter der Verlagerung von Industrie in den USA in andere Teile der Welt enorm gelitten; dort war die Produktion billiger und die Gigantenkonzerne konnten höhere Gewinnen erzielen. Seine Wähler wollen nicht, dass globale Institutionen wie WHO, NATO oder WTO über Vorgänge in den USA entscheiden, sie sind auf die Nation USA fixiert und wollen die Verpflichtungen gegenüber der Welt und anderen Ländern und Kontinenten loswerden, sie wollen, dass frühere US-Industrien in die USA zurückkehren, dass Europa selbst für seine Verteidigung aufkommen und sorgen muss, also dass die Autonomie ihres Landes verstärkt bzw. wiederhergestellt wird.

Die neuen Faschisten spielen ganz gezielt die nationalistische Karte und es gelingt ihnen in etlichen Ländern, damit erhebliche Erfolge zu erzielen. Sie tun also so, als würden sie den Nationalstaaten ihre früheren Machtkompetenzen zurückholen und die durch die Globalisierung entfremdeten Einrichtungen und Unternehmen wieder unter die nationale Kontrolle zu stellen, ganz im Sinn jener, die die Globalisierung verabscheuen und auf ihr eigenes Land setzen. Aber dabei handelt es sich um ein mit viel Aufwand betriebenes Täuschungsmanöver. Die USA werden unter Trump keine der genannten Organisationen dauerhaft verlassen, obwohl sie ständig solche Drohungen äußern. Trump wird die Kompetenzen globaler Institutionen weder reduzieren noch auf die Ebene der US-Zuständigkeiten ziehen können. Er täuscht seine Wähler, in der geraden Linie von massiven Wählertäuschungen, mit denen die NSDAP und Hitler von 1920 bis 1933 ihre Wähler gezielt hereinlegten, um ihre Stimmen zu bekommen, die Macht zu übernehmen und die Demokratie zu vernichten. Das ist exakt auch Trumps wichtigstes Ziel, aber nicht die proklamierte Nostalgie des “Make America Great Again”. Je nationalistischer die USA agieren, desto weniger wird es ihnen möglich sein, die USA wieder unangefochten an die Spitze von Weltmacht und Wohlstand in der Welt zu bringen.

Die Situation bei uns ist noch etwas anders, weil die neuen Faschisten bisher in der Opposition geblieben sind. Aber generell arbeiten sie genauso wie Trump. Sie fantasieren von einem rein deutschen Deutschland, der politischen Autonomie und der ökonomischen Autarkie, sie lehnen die Globalisierung ab und wollen alle wirtschaftlichen und politischen Kompetenzen und Zuständigkeiten ins Land zurückholen, zum Beispiel durch die Rückabwicklung der Europäischen Union und der europäischen Integration, durch die Wiedereinführung der nationalen D-Mark-Währung, durch die Reduzierung der Rolle globaler Institutionen wie der UNO und andere Maßnahmen. Alle politischen und wirtschaftlichen Funktionen sollen auf die Ebene des deutschen Nationalstaats gezogen werden, es geht also auch ihnen, von der AfD bis zu den Identitären, um die massive Stärkung der Nation und die Schwächung bzw. vollständige Beseitigung internationaler und globaler Institutionen. Europa soll, wenn es überhaupt zusammenarbeitet, nur in Form seiner autonomen Nationalstaaten kooperieren. Allerdings gibt es bei uns ein Hindernis im politischen System, soweit es um die schrittweise Einführung der Rechtsdiktatur geht: Die USA bieten sich als Präsidialdemokratie für einen schnellen Abbau von Demokratie und Parlamentarismus geradezu an, denn Präsident oder Präsidentin können relativ weitreichend ohne Parlament und per Dekret regieren, so ähnlich wie zur Zeit des Ausnahmezustands in der Endphase der Weimarer Republik; diese Möglichkeit ist vom Grundgesetz her ausgeschlossen, der Bundespräsident hat fast ausschließlich repräsentative, keine exekutiven Aufgaben.

Der Wählerzustrom für die verkappten neuen Faschisten beruht noch auf einem anderen Aspekt: der Krise der Repräsentation. Es gibt immer mehr Menschen in den unteren Einkommensschichten, die sich in den Bundes- und Länderparlamenten und -regierungen nicht mehr vertreten fühlen; diese bestehen aus Abgeordneten, die aus höheren Berufsgruppen kommen und im Zweifelsfall nicht auf die Interessen der Einkommensschwächeren achten, wenn sie Gesetze beschließen. Daraus resultierten bis vor etwa 20 Jahren starke Tendenzen zur Nichtteilnahme an den Wahlen, während die neuen rechten Parteien diese Nichtwähler wieder an die Wahlurnen brachten, wiederum vor allem ideologisch angetrieben durch Propaganda gegen die sogenannten Alt- oder Volksparteien, denen genau das vorgeworfen wurde: dass ihnen die Wünsche und Erwartungen der Unterschichten egal sind. Das Versprechen der neuen, getarnten faschistischen Parteien lautet in diesem Feld: Wir nehmen euch ernst und bringen euren Protest zur Sprache, indem wir gegen die etablierten Parteien, die euch ignorieren, politisch vorgehen. Mit uns wird es euch besser gehen – wobei überwiegend nicht die materielle oder finanzielle Lage dieser Wähler gemeint ist, sondern ihr Gefühl über die Politiker und die Politik überhaupt.

Genau so arbeitet bei uns die AfD und in den USA Trump, mit wachsendem Erfolg, sodass die Gefahr einer erneuten Errichtung faschistischer Strukturen – wie sie heute schon in vollem Umfang an der Friedhofsruhe des Putinschen Russlands zu beobachten sind – langsam aber sicher zunimmt. Die neuen Faschisten nutzen die Abneigung der Mehrheiten gegen die Globalisierung, gegen die Entmachtung der nationalen Institutionen und Ebenen und gegen die Entfremdung der Parlamente von den unteren Wählerschichten für ihre Wahlsiege und für die Zerstörung der Demokratie. Sie schaffen es, durch die manipulative Verwendung nationaler Symbole und die Agitation gegen die politisch schwächelnden anderen Parteien, die eigentlich auf mehr Demokratie, mehr Beteiligung und mehr Mitbestimmung hoffenden Wähler in einen Prozess einzubinden, der diesen realen Interessen der Rechts- und Protestwähler diametral entgegengesetzt ist und in eine Auflösung und Zerstörung der parlamentarischen Demokratie mündet, zugunsten eines nationalistisch vergifteten mentalen Bereichs und eines politischen Systems, in dem eine kleine Minderheit aus Politik und Wirtschaft bestimmt, was geschieht. So gehen Nationalismus und Diktatur erneut eine starke Bindung ein, die im 20. Jahrhundert in den Stalinschen und Hitlerschen Systemen quasi klassisch und katastrophal funktioniert hatte, phasenweise von einem großen Teil der jeweiligen, ideologisch toxischen Bevölkerung unterstützt.

Die Namen der diabolischen Kreaturen, die diese Entwicklung anführen, sind eigentlich belanglos. Ob sie Trump oder Orban oder Höcke oder Weidel oder Putin heißen, spielt keine Rolle, sie werden vom Zufall als neue Führer hochgespült. Entscheidend ist die Frage, ob es gelingt, das eigentlich demokratische und positive, aber diesen Wählern selbst unzureichend bewusste Motiv ihres politischen Handelns so zu verstehen und aufzugreifen, dass dabei sowohl die Fehler der Globalisierung als auch die Krise des politischen Systems so bearbeitet werden, dass am Ende weder der Nationalismus noch die Wahl der neuen faschistischen Parteien stehen, sondern eine Stärkung der Demokratie und ein Übergang zu solidarischem Denken und Verhalten in und zwischen den politischen Einheiten.

Hier wird zwar überall so getan, als gäbe es dafür keine Rezepte und als sei alles sehr schwierig. Man diskutiert über Parteienverbote und über einen Bewusstseinswandel – was ich auch unterstütze, aber das können nur sekundäre Hilfsmittel für die wirkliche Problemlösung sein. Die Problemlösung für eine angemessene Reaktion auf die unbegrenzte Globalisierung kann nur darin bestehen, dass der Freihandel weiterlebt, aber nicht den Riesenkonzernen überlassen bleibt, dass die globalen Institutionen demokratisiert werden (zum Beispiel durch die Entmachtung des Sicherheitsrats und die Aufwertung der Generalversammlung der UNO) und dass gleichzeitig durchaus Verlagerungen von Kompetenzen und Zuständigkeiten erfolgen müssen – aber nicht auf die Ebene der Nationalstaaten, denn das führt früher oder später wieder zu Kriegen, und zwar gesetzmäßig, wie wir aus dem 19. und 20. Jahrhundert wissen. Diese Verlagerungen müssen vielmehr auf die regionalen Ebenen in den einzelnen Staaten erfolgen; das Subsidiaritätsprinzip muss in allen internationalen Organisationen und Bündnissen zum herrschenden Motor in ihren Strukturen werden, zuungunsten jeder Zentralisierung; das gilt zum Beispiel auch für die Europäische Union, wo unter anderem auch das Mehrheitsprinzip für alle Felder und auf allen Ebenen die Einstimmigkeit ablösen muss. Um den neuen Faschisten die Wählerbasis zu entziehen, müssen die globalen Strukturen grundlegend verändert und demokratisiert werden und es muss umfangreiche Kompetenzverlagerungen geben, weg von der globalen Ebene, hin zu den Ebenen unterhalb der Nationalstaatlichkeit, also bei uns zum Beispiel hin zu den Bundesländern und den Kommunen. Mit der umfassenden Antwort einer weitreichenden Dezentralisierung von Politik und Ökonomie wird der faschistische Reflex auf die Globalisierung vollkommen überflüssig und als sinnlos erkannt; der Nationalismus als Reaktion und Ideologie der Verblendung verschwindet mit den Nationalstaaten und wird durch die Integration innerhalb der Kontinente obsolet. Ich bin sicher, dass die neuen faschistischen Parteien in einem europäischen Bundesstaat keine Chance mehr haben werden, relevante Wählergruppen zu gewinnen.

Auch für die Lösung des Repräsentationsproblems gibt es ein klares Konzept, ein bekanntes und machbares Rezept. Die parlamentarischen Systeme haben sich in den letzten Jahrzehnten stark professionalisiert und differenziert, wobei die Vertretung bestimmer Gruppen und Schichten der Bevölkerung immer schwächer geworden ist, insbesondere der sozialen Unterschichten. Diese Tendenzen nehmen ständig weiter zu, was dazu führt, dass die repräsentative Demokratie nicht mehr wirklich repräsentativ ist. Es ist überaus verhängnisvoll, dieses Missverhältnis bestehen zu lassen, denn davon profitieren die neuen faschistischen Parteien. Sie beseitigen aber nicht das Problem, sondern sie verschärfen es, denn wenn ihnen eine Machtübernahme gelingt, errichten sie eine Diktatur, in der die Repräsentativität überhaupt keine Rolle mehr spielt; die Parlamente werden entmachtet oder komplett beseitigt, gelegentlich auch zu Scheinparlamenten gemacht, die jeden Wunsch der Diktatoren abnicken. Eine wirkliche Lösung kann nur in mehr Partizipation bestehen, und mehr Partizipation ist in vielen Formen möglich, durch neue (eigentlich uralte) Methoden wie Losverfahren oder Auswürfeln. Dabei dürfte das wirksamste Vorgehen darin bestehen, die direkte Demokratie auf allen Ebenen der politischen Systeme umfassend auf- und auszubauen und es dem Souverän auf allen Ebenen zu ermöglichen, mindestens dieselbe Entscheidungskompetenz auszuüben wie das jeweils zuständige Parlament, und zwar von der Stufe der Gemeinde/Stadt über den Kreis, das Bundesland, den Bund und bis zur Ebene der Europäischen Union. Dafür müssen die Voraussetzungen so quantifiziert werden, dass ein Plebiszit jeweils so minimale Bedingungen zu erfüllen hat, wie es in der Schweiz geregelt ist.

Die permanente Verfügbarkeit der direkten Demokratieinstrumente wird sicherlich nicht dazu führen, dass die repräsentative Demokratie abgeschafft wird, aber sie wird es jedem einzelnen Bürger und jeder Bürgerin ermöglichen, bei jeder relevanten politischen Entscheidung mitzuentscheiden. Damit kann das Demokratiedefizit, das in den repräsentativen System potenziell angelegt ist, überwunden werden, denn dann wird Politik nicht nur durch Wahlen, sondern auch durch Abstimmungen entschieden, wie es im Grundgesetz in Artikel 20 (2) ausdrücklich vorgesehen ist. Damit würde allen sozialen Schichten die Chance der politischen Mitbestimmung, unabhängig von der Vertretung im jeweiligen Parlament, eröffnet.

Die partizipative Erweiterung der Demokratie wird zusammen mit der Dezentralisierung von Entscheidungskompetenzen und -institutionen die Wählerströme der neuen faschistischen Parteien deutlich vermindern und diese Parteien mittelfristig zu einem vergangenen Phänomen machen. Schade, dass die bestehenden nichtfaschistischen Parteien nicht bereit sind, über diese machbaren und sinnvollen Veränderungen der bestehenden Systeme ernsthaft nachzudenken. Damit übernehmen sie letztlich die Verantwortung dafür, dass die Regression hin zu einem neuen Faschismus ständig stärker wird und sich ungehindert ausbreiten kann. Sie müssten eigentlich nach vielen Jahren dieser Regression einsehen, dass Reden und Schreiben dagegen nicht viel bringt, was leider auch für Demonstrationen gilt. Wir brauchen Strukturveränderungen, sonst können wir den Aufstieg des neuen Faschismus nicht aufhalten. Dafür sind Mut und Energie erforderlich; beides ist zur seltenen politischen Ressource geworden.

Eine große Anzahl von Wählern kommt auch deshalb zu den neuen Faschistenparteien, weil sie sich sozial und wirtschaftlich ungesichert fühlen, das ist unbestritten. Sie vermissen die soziale Sicherheit, die ihnen vor der Globalisierung und Internatinalisierung ihrer Ökonomie, besonders ihrer Industrie, vom Staat noch zugestanden wurde, sich aber mittlerweile deutlich abgeschwächt, sodass das Gefühl der sozialen Verunsicherung für viele dominierend geworden ist. Das gilt vor allem in Deutschland und Frankreich, aber auch für die USA und andere Ländern, in denen die neuen Faschistenparteien weiter wachsen.

Deutschland hat in diesem Bereich eine besondere, historisch begründete Tradition und Verantwortung. Es war der kaiserliche Sozialstaat mit dem Reichskanzler Bismarck an der Spitze, der als erstes bedeutendes Land die staatliche Sozialversicherung einführte und so eine riesige Pionierleistung von Sozialpolitik erbrachte, wohlgemerkt, durch einen konservativen Regierungschef unter einem Monarchen; das meine ich hier mit Mut und Energie, aber leider ziehen unsere Parteien in andere Richtungen, und zwar gerade jene, die doch täglich und lautstark verkünden, wie sehr sie die AfD bekämpfen. Sie versagen leider volllständig. Dabei wäre Deutschland dringend aufgerufen, erneut eine Pionierleistung in der Sozialpolitik zu bieten: die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, als aktuell sinnvollste Form einer umfassenden Sozialpolitik, durch die alle Menschen ihr Leben sichern können, ohne Angst.

Denn das massivst im Land verbreitete Gefühl der sozialen Unsicherheit, das ganz stark begründet ist – weil der Sozialstaat in Deutschland seit 40 Jahren unter gewaltigem Druck steht und sein Abbau unvermindert weitergeht, zuletzt wieder untermauert durch die geplante Anti-Krankenhaus-Reform des Gesundheitsministers Lauterbach, einen brutalen Kahlschlag gegen die medizinische Versorgung außerhalb der Metropolen – lässt sich durch eine gezielte Strategie überwinden: das bedingungslose Grundeinkommen. Dieses Konzept, das mit Armut und Elend im ganzen Land Schluss machen würde, stammt nicht nur von Linken wie Erich Fromm, es wurde auch von Konservativen in den USA gefordert. So hat zum Beispiel der damalige republikanische Präsident der USA, Richard Nixon, schon in den 60er Jahren ein bedingungsloses Grundeinkommen gefordert. Aber was tut zum Beispiel die Linkspartei? Sie hat auf dem letzten Parteitag im Dezember 2024, trotz einer mehrheitlichen Befürwortung in einer Mitgliederbefragung, das bedingungslose Grundeinkommen abgelehnt und damit einmal mehr gezeigt, dass ihre Funktionäre und Vorständler nichts mehr mit linker Politik zu tun haben, ja dass sie nicht einmal den Mut besitzen, etwas zu fordern, das ein konservativer Republikaner aus den USA bereits vor 60 Jahren ganz ernsthaft verlangt hat.

Und wie agiert die andere Partei im Land, die sich ebenfalls zum Hauptgegner der AfD erklärt hat, die Grünen? Sie haben sich schon 2023 von ihrer über Jahrzehnte geforderten Einführung der direkten Demokratie auf Bundesebene und damit von der direkten Demokratie generell verabschiedet. Das bedeutet einfach, sie wollen nicht, dass der Souverän selbst in Politik und Gesellschaft mehr entscheiden kann. Sie sind nicht bereit, mehr Partizipation zuzulassen, wobei es klar ist, dass mehr politische Entscheidungskompetenz für die Bürgerinnen und Bürger die Wählerströme in die faschistische Richtung deutlich verkleinern würde.

Damit bleiben die linken Parteien in Deutschland auf ihrem katastrophal-passiven Kurs, dem die Rechten ihren Aufstig weitgehend verdanken. Sie weigern sich, von der Politik- und Gesellschaftswissenschaft nachgewiesene Grundlagen für die Regression zur Kenntnis zu nehmen und flüchten sich mangels alternativer Denk- und Handlungsfähigkeiten an die Seite der anderen Parteien, die der AfD noch weniger entgegensetzen können. Mutlos und energiefrei sind aber die Gegner der neuen Faschisten nicht nur in Deutschland, sie sind es auch in den USA, in Frankreich, in Spanien, in Italien und vielen anderen Ländern. Wenn sich das nicht ändert, wird niemand die faschistische Regression aufhalten können. Wir brauchen ein qualitatives Mehr an Demokratie und ein qualitatives Mehr an Sozialpolitik, durch weitreichende Reformen wie direkte Demokratie und bedingungsloses Grundeinkommen. Und wir haben dafür sehr, sehr wenig Zeit. Vermutlich sind wir in den USA schon zu spät dran. Trump ist da und verändert die Strukturen im Sinn des neuen Faschismus, vom ersten Tag an und ohne Zögern.

Literatur: Armin Schäfer, Michael Zürn, Die demokratische Regression, Berlin 2021; Denis de Rougement, Die Zukunft ist unsere Sache, München 1987; Gregor Hackmack, Demokratie einfach machen. Ein Update für unsere Politik, Hamburg 2014; Erik Olin Wright, Reale Utopien. Wege aus dem Kapitalismus, Berlin 2017, S. 305-310.

Dr.HeinzArnold

Abitur in Biedenkopf/Lahn, Studium Anglistik, Politik, Geografie, Philosophie, Soziologie, Pädagogik an den Universitäten Heidelberg und Marburg/Lahn, Promotion Dr. rer. pol. Universität Kassel, Lehraufträge in Geografie und Politik an den Universitäten Trier und Kassel, zahlreiche Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen in Politik, Soziologie und Geografie, in der politischen Linken aktiv seit 1968. Bücher u.a.: Linke Politik - eine kritische Einführung, Hamburg 2020; Gesellschaften, Räume, Geografien, Trier 1997; Disparitäten in Europa: Die Regionalpolitik der Europäischen Union - Analyse, Kritik, Alternativen, Basel/Boston/Berlin 1995; Saar-Lor-Lux/Trier-Westpfalz/Wallonie - Strukturen und Perspektiven einer Europäischen Großregion, Trier 1998; Soziologische Theorien und ihre Anwendung in der Sozialgeografie, Kassel 1988; Aldous Huxley, Brave New World, Berlin 2005 (Hrsg.); Lektüreschlüssel George Orwell, Animal Farm, Stuttgart 2011

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