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Linkspartei am Ende

Sarah Wagenknecht hat sich mehrfach gegen das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) positioniert, mit den Argumenten der Unternehmerverbände, jetzt ist ihr die Linkspartei auf ihrem Parteitag treu gefolgt, gegen ein klares Mitgliedervotum für das BGE. Tatsächlich ist die Linke, insbesondere in ihrem Funktionärsbereich, Wagenknecht näher als den eigenen Mitgliedern. Das zeigt nicht nur, wie stark sie im historischen Fahrwasser der SPD läuft, sondern auch, dass sie mit linker Politik nichts mehr zu tun hat. Es war und ist seit 100 Jahren eine der entscheidenden Mangelstrukturen der SPD, dass ihre Vorstände in zentralen Politikfragen in aller Regel die Interessen der Mächtigen und Reichen über die Interessen der großen Mehrheit ihrer Mitglieder gestellt haben.

Die Funktionsträger der Linkspartei haben von dem, was in den letzten 15 Jahren passiert ist, nichts verstanden; vermutlich werden sie auch in Zukunft nicht klüger. Sie haben nicht kapiert, dass es falsch war, den Kampf gegen die soziale Ungleichheit und die Macht der Konzerne durch den Einsatz für alle Migranten und alle Angehörigen von Minderheiten zu ersetzen, dass es also falsch war, sich auf liberale Politik zu konzentrieren. Sie haben nicht verstanden, dass sie damit der AfD eine große Lücke geöffnet haben, denn der Einsatz für die sozial Benachteiligten im Land war damit parteipolitisch frei. Sie haben nicht verstanden, dass sie während der Anti-Corona-Maßnahmen viele Freunde und Wähler verloren haben, weil sie sich nicht für die Sicherung der Grund- und Bürgerrechte im Land engagiert haben und sogar für totale Lockdowns, also für die totale Aussperrung, votierten. Auch damit haben sie die AfD massiv gefördert, denn die Rechtsextremen bekamen so die Möglichkeit geschenkt, sich als Verteidiger der Bürgerrechte aufzuspielen. Sie haben den Konflikt um die Ukraine nicht verstanden, denn sie vertreten hierzu die Putin-Position, dass es ein Stellvertreterkrieg sei. Sie drücken sich vor jeder Analyse dessen, was heute in Russland passiert und wollen nicht wahrhaben, dass dieses Land heute faschistisch ist und dass der Konflikt im Kern der Kampf von Demokratie gegen Diktatur ist, dass die Ukrainer eine Demokratie wollen und Russland für die Erweiterung seiner Diktatur Krieg führt. Dass sie dieser Ukraine ihre militärische Solidarität verweigert, hat die Linkspartei ebenfalls viele Stimmen und Sympathien gekostet, sodass sie nach diesen zwei Kapitalfehlern nur noch drei bis vier Prozent Stimmen erwarten kann.

Jetzt treten die Funktionäre der Linkspartei erneut große Wählergruppen und ihre eigenen Mitglieder mit Füßen – sie lehnen das BGE ab und stellen sich damit in eine Reihe mit all den Betonköpfen in den anderen Parteien, die AfD eingeschlossen, die das auch tun. Dümmer geht es wohl kaum noch, aber man kann nie wissen, was für ein Unsinn als Nächstes von ihnen kommen wird. Ich vermute mal, sie werden sich demnächst auch noch – den Grünen folgend – klar gegen bundesweite Plebiszite äußern, denn das ist eine weitere Position, die von vielen Mitgliedern und Wählern der Linken eindeutig begrüßt wird – die Menschen im Land und viele im Bereich der Linken im Land hoffen darauf, dass die direkte Demokratie ausgebaut wird. Es ist also ein klarer Schritt der Funktionäre der Linken gegen ihre Wähler und Freunde, wenn sie gegen die direkte Demokratie Propaganda machen, so wie gegen das Bedingungslose Grundeinkommen. Logisch wäre es, denn diese Leute sind vollkommen unfähig, aus der Vergangenheit etwas zu lernen oder zu verstehen, dass sie sich selbst ständig sämtliche Äste absägen, auf denen sie sitzen. Es genügt eigentlich schon, wenn man feststellt, dass der Ausbau der direkten Demokratie für die Linken-Funktionäre seit Jahren kein Thema mehr ist. Sie interessieren sich nicht für die reale Mitbestimmung durch die Bürgerinnen und Bürger.

Es heißt, sie wollen sich wieder stärker um soziale Gerechtigkeit kümmern. Ein schöner Begriff, aber was haben die Linksparteifunktionäre hierbei im Sinn? Sie reden von der Arbeiterklasse, aber damit meinen sie eigentlich die manuell Arbeitenden, also eine Minderheit. Wolfgang Abendroth hat schon in den 60er Jahren darauf hingewiesen, dass es nur noch Sinn macht, den Klassenbegriff zu verwenden, wenn man damit die Klasse der Arbeitnehmer/innen meint, also heute etwa 90 Prozent der Berufstätigen. Dazu sollte man jetzt auch alle Selbstständigen und Freiberufler zählen, deren Einkommen im Durchschnittsbereich der Arbeitnehmer/innen oder darunter liegen, dann umfasst diese eine große Mehrheitsklasse dieses Landes mehr als 95 Prozent. Wieso sind die Funktionäre der Linkspartei nicht in der Lage, diese Realität zu erkennen? Wieso müssen sie immer wieder Positionen von Minderheiten einnehmen, ist das eine Manie? Wollen Sie nur Minderheiten vertreten? Mit welchem Recht stellen sie dann Programme für die gesamte Gesellschaft auf? Mit welchem Recht reden sie überhaupt von einer Gesellschaft, wenn sie stets nur aus der Perspektive von Minderheiten denken können? Wie borniert sind diese Leute? Wie dick und fett sitzt das liberale Motto vom Minderheitenschutz in ihren Köpfen und hindert sie an jedem wirklich linken Gedanken?

Gehört denn wirklich eine besondere Intelligenz dazu, eine ganz banale Wahrheit zu erkennen und daraus eine politisch-soziale Logik für die Mehrheit der Menschen abzuleiten: dass alle diese Minderheiten – Migranten, Nationalitäten, Alte, Junge, Schwule, Lesben usw. usf. – in sich keine Einheiten darstellen, sondern antagonistische Binnenstrukturen aufweisen – es gibt reiche und mächtige Schwule und arme und benachteiligte Schwule usw.? Und der Kampf eines Linken oder einer Linken kann sich niemals darum drehen, für reiche und mächtige Schwule oder Lesben usw. einzutreten, das müsste man doch als Linke/r kapieren können, oder ist das zu viel verlangt? Kann man wirklich so blöd sein? Das würde bedeuten, dass diese Leute überhaupt nicht verstehen, was Liberalismus bedeutet, worin sein politisch-sozialer Grundfehler besteht, dass er nämlich die soziale Ungleichheit mit der ungleichen Verteilung biologischer oder demografischer Merkmale verwechselt und dadurch die soziale Ungleichheit gar nicht thematisieren kann.

Leider ist es wohl so; die Linkspartei wird von Menschen dominiert, die grundsätzlich nicht links, sondern liberal sind. Sie haben lange Anpassungsprozesse an eine liberale Soziologie, Politologie, Sozialwissenschaft generell und Öffentlichkeit hinter sich und können nicht anders denken. Sie haben sich von den zentralen Axiomen linker Theorie schon lange verabschiedet bzw. diese nie begriffen und nur hohle Phrasen nachgeplappert, irgendwelche Marxzitate, die sie nicht auf die Realität beziehen können. Dabei gab es viele Möglichkeiten und Denkansätze in der Mehrheit der Bevölkerung dieses Landes, an die man anknüpfen könnte und mit deren Verbindung eine linke Partei in diesem Land ihr reales Potenzial von etwa 20 Prozent bundesweit sichern und weiter ausbauen könnte. Aber wer sich gegen das BGE ausspricht, der reduziert seine drei oder vier Prozent weiter und strebt gegen Null.

Literatur: Daniel Häni/Philip Kovce, Was würdest du arbeiten, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre? Manifest zum Grundeinkommen, Wals bei Salzburg 2017; Andreas Urs Sommer, Eine Demokratie für das 21. Jahrhundert, Freiburg/Basel/Wien 2022; Karl Reitter, Kritik der linken Kritik am Grundeinkommen, Berlin 2021; Heinz Arnold, Linke Politik. Eine kritische Einführung, Hamburg 2020.

Dr.HeinzArnold

Abitur in Biedenkopf/Lahn, Studium Anglistik, Politik, Geografie, Philosophie, Soziologie, Pädagogik an den Universitäten Heidelberg und Marburg/Lahn, Promotion Dr. rer. pol. Universität Kassel, Lehraufträge in Geografie und Politik an den Universitäten Trier und Kassel, zahlreiche Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen in Politik, Soziologie und Geografie, in der politischen Linken aktiv seit 1968. Bücher u.a.: Linke Politik - eine kritische Einführung, Hamburg 2020; Gesellschaften, Räume, Geografien, Trier 1997; Disparitäten in Europa: Die Regionalpolitik der Europäischen Union - Analyse, Kritik, Alternativen, Basel/Boston/Berlin 1995; Saar-Lor-Lux/Trier-Westpfalz/Wallonie - Strukturen und Perspektiven einer Europäischen Großregion, Trier 1998; Soziologische Theorien und ihre Anwendung in der Sozialgeografie, Kassel 1988; Aldous Huxley, Brave New World, Berlin 2005 (Hrsg.); Lektüreschlüssel George Orwell, Animal Farm, Stuttgart 2011

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