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Pathologische Russophilie

Taurus ist nur ein Stichwort für dieses Phänomen, eine tiefsitzende mentale Störung in Deutschland, von der viele Bürger, viele Sozialdemokraten, viele Linke und andere betroffen sind: von einer nur langfristig zu überwindenden krankhaften Russlandliebe, für die es keine rationale Grundlage gibt, keine einzige.

Der Bundeskanzler hat mehrfach erklärt, dass Russland den Krieg gegen die Ukraine nicht gewinnen darf. Damit hat er zugleich zum Ausdruck gebracht, dass er auch nicht will, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt. Er verweigert der Ukraine immer wieder die Lieferung wichtiger Waffensysteme, obwohl diese Systeme Leben retten würden, wenn die Ukraine sie hätte. Damit stellt er sich – da beißt die Maus keinen Faden ab – schützend vor Putin und die russische, aggressiv-faschistische Diktatur. Das tun auch alle anderen, die die Tauruslieferung oder gar jegliche Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnen; bei den Rechtsradikalen, den AfD-Wählern und -Mitgliedern sowie den Rechtskonservativen ist das nicht verwunderlich, aber bei ihnen ist es nicht Folge der pathologischen Russlandverehrung, sondern sie sind auf der Seite der russischen Faschisten, weil sie die russische Diktatur und ihren Führer lieben und sein Modell auf Deutschland und natürlich auch ganz Europa übertragen möchten, zusammen mit ihren berüchtigten Freunden aus dem nationalistisch-faschistischen Milieu in Frankreich, Polen, Ungarn. Die Rechten lieben nicht Russland, sondern die russische Diktatur, ihr Idealbild für die Zukunft unseres Landes. Sie folgen zu hundert Prozent der Spur Putins, der schon 1994 erklärt hat, sein Modell für die Zukunft Russlands sei die Pinochet-Diktatur in Chile.

Dass es für die pathologische Russophilie keinen einzigen Sachgrund gibt und nie gegeben hat, lässt sich durch viele Vorgänge beweisen, über die in der deutschen Medienlandschaft kaum oder falsch informiert wird, die Geschichtsschreibung eingeschlossen. Fangen wir mit dem größten Mythos an, der Befreiung vom Faschismus durch die Rote Armee. Die UdSSR konnte den Angriff Hitlerdeutschlands nur abwehren, weil ihr die USA riesige Mengen von Waffen und Rüstungsgeräten lieferten, ansonsten wäre sie untergegangen. Der Große Vaterländische Krieg war ein Abwehrkrieg mit großer Hilfe der USA. Weder Stalin noch die Rote Armee hatten die Fähigkeit zum Sieg, dieser wurde ihnen von den Amerikanern ermöglicht, quasi geschenkt. Was geschah nach der deutschen Kapitulation? Es wird geschätzt, dass die Rotarmisten 2,2 Millionen deutsche Frauen vergewaltigten und 220.000 deutsche Frauen ermordeten. Dafür wurden sie nie zur Rechenschaft gezogen und Stalin kommentierte das sinngemäß so, dass die tapferen Kämpfer schließlich ein bisschen Spaß verdient hatten.

Kaum dass die Rote Armee Deutschlands kleineren Osten militärisch besiegt hatte – mehr war es nicht, den größeren Westen besiegten bekanntlich die Westmächte, die den Russen am Ende auch noch Teile ihrer besetzten Gebiete schenkten – legte man los und zeigte in kürzester Zeit, welche Art von Befreiung das war. Die NS-Diktatur wurde polternd und holpernd in die Diktatur von KPD und wenig später SED umgewandelt, mit viel Gewalt und rücksichtslos. Während die amerikanische Besatzungsmacht noch am Aufbau der Wirtschaft bastelte, sorgten die russischen Eroberer schnellstmöglich dafür, dass das politische System komplett von ihnen bestimmt und in die Hände der Kommunisten gelegt wurde. Die vielfachen Angebote der Westmächte und der USA, gemeinsam an einer Kooperation aller vier Besatzungszonen zu arbeiten, ignorierte die UdSSR und spaltete durch ihre eisenharte Konsequenz bei der stalinistischen Strukturierung der SBZ Deutschland schon Jahre vor den beiden Staatsgründungen von 1949. Hier wurde nach dem Prinzip “Lieber das halbe Deutschland ganz und sofort als ein geeintes Deutschland” gearbeitet, fast gleichlautend mit der späteren Originalaussage Adenauers “Lieber das halbe Deutschland ganz als das ganze Deutschland halb” – dessen Antwort auf die sogenannte Stalin-Note von 1952, mit der die UdSSR vortäuschte, ein neutrales geeintes Deutschland zu akzeptieren. Die sieben Jahre davor, von 1945 an, hatten massiv untermauert, dass die UdSSR den Osten Deutschlands als ihren unwiderruflichen Dauerbesitz betrachtete. Stalin zeigte damals nur noch einmal, dass auch seine zweite Lieblingsbeschäftigung, das systematische Lügen, weiterging (die erste war das systematische Morden).

Aber Ostdeutschland genügte Russland nicht. Sie “befreiten” noch andere Gebiete in Mittel- und Osteuropa: Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und verwandelten diese ebenfalls so schnell wie überhaupt denkbar in stalinistische Diktaturen, mit einer kommunistischen Einparteienstruktur, die in vielen Elementen an die faschistische Vorgeschichte anknüpfte, aber die Farben austauschte. Diese Länder wurden in Wirklichkeit nicht befreit, sondern die faschistische Besatzungsmacht wurde militärisch besiegt und gegen eine stalinistische Besatzungsmacht ausgetauscht. Mit viel Druck und Hilfe durch die Rote Armee wurden die politischen System in Beschlag genommen, jegliche Opposition mit allen Mitteln, die Todesstrafe und Morde eingeschlossen, beseitigt und ein System von Satellitenstaaten errichtet, das mit Demokratie oder Befreiung nicht den Hauch zu tun hatte.

Wie ging es weiter? Ich kann nicht alle politischen Übeltaten der UdSSR nach 1945 aufzählen, aber vielleicht die wichtigsten: CSSR 1948, DDR 1953, Ungarn 1956, DDR 1961, Kuba 1962, CSSR 1968, Polen 1980, Afghanistan 1980; die Fortsetzung des russischen Großmachtchauvinismus bilden die Kriege Russlands nach 1991 gegen Tschetschenien, Georgien und die Ukraine. Dieser russische Großmachtchauvinismus scheint den zentralen Ewigkeitskern Russlands zu bilden, er währt seit Jahrhunderten und war auch im Zarenreich das Zentrum russischen Handelns, der Sinn der Großmacht Russland. Aber der Fairness halber sei darauf hingewiesen, dass es im 20. Jahrhundert eine kleine Unterbrechung gab, so etwa zehn Jahre, ungefähr von 1920 bis 1930.

Vor diesem Hintergrund ist es absurd, von irgendeiner positiven Regung in Bezug auf den heutigen Staat Russland befallen zu werden. Der mit maximaler Brutalität geführte Krieg gegen die Ukraine, dieser Völkermord, zeigt, dass der Großmachtchauvinismus sich mit allen politischen Systemen kombinieren lässt, dem Feudalismus des Zarenreichts, der bürokratisch-totalitären Form von Sozialismus, dem Kapitalismus nach 1991 – immer ist er präsent geblieben und jetzt hat er sich auf eine gezielte Antimenschlichkeit heruntergeschraubt, bei der seine Hauptziele das Ermorden von Kindern und das Ermorden von Zivilisten sind.

Wie kann ein Mensch dieses Russland lieben? Wer glaubt noch an das Märchen von der Befreiung vom Faschismus? Wer kann diesem Staat und seinen Bürgern, die mit großer Mehrheit hinter dem Völkermord stehen, noch ein Wort glauben oder vertrauen? Wer macht mit diesem Massenmordunternehmen namens Russland noch Verträge? Wie fehlgeleitet bin ich als Ostdeutscher, wenn ich immer noch Russland liebe und Waffenlieferungen an die Ukraine ablehne? Die UdSSR hat Ostdeutschland nach 1945 vollständig ausgeraubt und alles entwendet, was zu kriegen war – sie nannten das Reparationen. Gleichzeitig haben die USA die Westzonen mit Milliardensummen wirtschaftlich gefördert und dafür gesorgt, dass im Westen eine liberale Demokratie entstand, sodass die Zeit der Diktatur tatsächlich beendet wurde. Dass der deutsche Osten bis heute weniger Wohlstand aufweist, hat auch mit diesem Riesenraub der UdSSR nach 1945 zu tun und liegt nicht nur an der katastrophalen Arbeit der Treuhand nach 1990.

Ich glaube nicht, dass es für die pathologische Russophilie einen Heilungsweg gibt. Vermutlich ist diese Krankheit in der Psychoanalyse und bei Psychotherapeuten auch noch zu wenig bekannt. Aber ich nehme an, dass die Zahl der davon Befallenen schlagartig abnehmen wird, wenn Russland die Ukraine vernichtet hat und sich anschließend weiter nach Westen bombt, nach Polen und Deutschland und so weiter. Spätestens dann werden viele krankhaft Russlandverliebte verstehen, dass sie ihre Russlandliebe, die den Sieg der Ukraine verhinderte, selbst das eigene Leben kosten könnte. Durch Bomben und Kugeln aus dem Land, das sie so sehr lieben, mehr als sich selbst.

Literatur: John Gimbel, Amerikanische Besatzungspolitik in Deutschland 1945-1949, Frankfurt/Main 1971; Frank Niess, Die europäische Idee. Aus dem Geist des Widerstands, Frankfurt/Main 2001; Anne Applebaum, Der Eiserne Vorhang: Die Unterdrückung Osteuropas 1944-1956, Berlin 2013.

Dr.HeinzArnold

Abitur in Biedenkopf/Lahn, Studium Anglistik, Politik, Geografie, Philosophie, Soziologie, Pädagogik an den Universitäten Heidelberg und Marburg/Lahn, Promotion Dr. rer. pol. Universität Kassel, Lehraufträge in Geografie und Politik an den Universitäten Trier und Kassel, zahlreiche Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen in Politik, Soziologie und Geografie, in der politischen Linken aktiv seit 1968. Bücher u.a.: Linke Politik - eine kritische Einführung, Hamburg 2020; Gesellschaften, Räume, Geografien, Trier 1997; Disparitäten in Europa: Die Regionalpolitik der Europäischen Union - Analyse, Kritik, Alternativen, Basel/Boston/Berlin 1995; Saar-Lor-Lux/Trier-Westpfalz/Wallonie - Strukturen und Perspektiven einer Europäischen Großregion, Trier 1998; Soziologische Theorien und ihre Anwendung in der Sozialgeografie, Kassel 1988; Aldous Huxley, Brave New World, Berlin 2005 (Hrsg.); Lektüreschlüssel George Orwell, Animal Farm, Stuttgart 2011

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